Wiener Geschichten - Leopold Museum Blog

Nicht nur Musen

Künstlerinnen um 1900

Nicht nur Musen. Künstlerinnen um 1900

Jahrhundertelang war es Frauen nicht möglich, Künstlerin zu werden. Der offizielle Grund dafür war, dass man in den Kunstakademien das Zeichnen im Aktsaal lernte und der Anblick nackter Personen einer Frau nicht zugemutet werden konnte. Einerseits fürchtete man, dass eine zarte, angehende Künstlerin beim Anblick der Nacktheit überwältigt und in Ohnmacht fallen könnte, andererseits aber fürchtete man, dass die natürliche Sexualität des Weibes von der Nacktheit dermaßen provoziert werden würde, dass die Frau ihre Triebe nicht mehr unter Kontrolle haben könnte und sie völlig ungehemmt an Ort und Stelle ausleben müsste. Es ist schon seltsam, wie künstlich und realitätsfern die Beziehung zwischen den Geschlechtern im Laufe des 19. Jahrhunderts geworden ist.

Durch die mangelnde Möglichkeit, sich offiziell als Künstlerin ausbilden zu lassen, kam es, dass die Rolle der Frau in der Kunst oft auf die der Muse reduziert wurde. Hinter jedem großen Künstler steht eine starke Frau, hieß es, und oft genug stimmte das auch. Dass Frauen jedoch auch selbst große Künstlerinnen sein konnten, sollte erst langsam ins allgemeine Bewusstsein einsickern. Um die Wende ins 20. Jahrhundert gelang es einigen Künstlerinnen zumindest kurzzeitig aus dem Schatten ihrer männlichen Kollegen zu treten.

Tina Blau (1845-1916) war eine dieser Frauen. Ihr Vater unterstützte die künstlerischen Ambitionen seiner Tochter von Anfang an und ließ ihr Privatunterricht bei August Schaeffer geben. Dieser erkannte ihre Liebe zur Natur und motivierte sie dazu, vor allem Landschaften zu malen, da Frauen ja durch das fehlende Aktstudium keine figurativen Werke zugetraut wurde. Für Tina Blau war diese frühe Spezialisierung auf Landschaftsdarstellungen aber ein Glücksfall, da sie darin bald große Erfolge feiern konnte. 1882 beteiligte sie sich an der Internationalen Ausstellung in Wien. Ihr Bild „Frühling im Prater“, das im Stil des Österreichischen Stimmungsimpressionismus gemalt war, deren Hauptvertreterin sie auch war, erregte Aufsehen. Hans Makart wählte es zum besten Werk der Ausstellung, woraufhin es auch im Pariser Salon gezeigt wurde, wo es mit der „Mention honorable“ ausgezeichnet wurde.

1883 heiratete Tina Blau den Maler Heinrich Lang, mit dem sie nach München zog, wo sie an der Damenakademie Landschaft und Stillleben unterrichtete. Nach dem Tod ihres Gatten unternahm sie ausgedehnte Reisen und kehrte schließlich nach zehnjähriger Abwesenheit nach Wien zurück, wo sie unter anderem mit Rosa Mayreder die „Kunstschule für Frauen und Mädchen“ gründete, deren Leiterin sie zwei Jahrzehnte bleiben sollte.

Auch Broncia Koller-Pinell (1862-1934) bekam von ihrem Vater die Erlaubnis, Malunterricht zu nehmen, unter der Einschränkung jedoch, dass dies nur zu ihrem Vergnügen zu geschehen hatte, denn ernsthafte künstlerische Absichten waren Männern vorbehalten. Da allerdings bereits ihre erste Ausstellung 1885 ein großer Erfolg war, gestattete ihr Vater schließlich eine Kunstausbildung in München. Ohne sich aktiv für die Frauenbewegung zu engagieren, pflegte auch sie Kontakte zum Kreis um Rosa Mayreder und lernte so den Komponisten Hugo Wolf und ihren späteren Ehemann, den Arzt und Physiker Hugo Koller kennen. Dessen Familie wollte ihn daran hindern, eine Jüdin zu heiraten, doch Koller trat aus der katholischen Kirche aus (eine konfessionelle „Mischehe“ war nicht möglich) und 1896 wurde geheiratet. Nach Jahren in Deutschland kehrte die inzwischen vierköpfige Familie 1902 nach Österreich zurück, wo sie in Oberwaltersdorf, südlich von Wien, ein Haus kaufte, das Josef Hoffmann umbaute und die Malerin gemeinsam mit Kolo Moser einrichtete. Das Haus wurde umgehend ein künstlerisches und intellektuelles Zentrum, in dem sich das Who is who der Wiener Jahrhundertwende traf und inspirieren ließ. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde Broncia Koller-Pinell nach ihrem Tod totgeschwiegen und vergessen. Heutzutage gilt sie als eine der wesentlichen Künstlerinnen des Jugendstils und in späteren Jahren auch der Neuen Sachlichkeit.

 

Beitrag von Stefan Kutzenberger