Wiener Geschichten

Egon Schieles

Überlegungen

Zum Jahreswechsel

Was für ein Jahr ging soeben zu Ende! „Babyelefant“, das österreichische Wort des Jahres 2020, hätte uns letzten Jänner noch gar nichts bedeutet, auf jeden Fall nicht als Symbol für den Mindestabstand zur Vermeidung einer SARS-CoV-2 Infektion, einem abstrakten Wortungetüm, das damals, vor einem Jahr, wahrscheinlich auch nur den wenigsten etwas gesagt hätte. Wir befinden uns in der größten Pandemie seit der Spanischen Grippe, die nach dem Ersten Weltkrieg unter vielen Millionen Todesopfern am 31. Oktober 1918 auch Egon Schiele das Leben kostete. Dank einem hervorragenden Gesundheitssystem, striktem Einhalten der Hygienevorschriften und einem funktionierenden Staat, der die größten wirtschaftlichen Einbußen abfedern konnte (und hoffentlich auch weiterhin abfedern wird – das betrifft besonders unsere Museumslandschaft), konnte eine Katastrophe wie vor hundert Jahren verhindert werden.

Wir halten Rückschau und blicken auf Egon Schieles Wünsche zum Jahreswechsel. Hier eine Auswahl:

Obwohl Egon Schiele das Gymnasium Klosterneuburg vor der Matura abgebrochen hatte, schrieb er am 20.12.1908 seinem ehemaligen Religionslehrer, Chorherr Wolfgang Pauker, einen sehr schön kalligraphierten Brief:

Sehr geehrter Herr Doktor! 

Bitte auch von mir die herzlichsten Glückwünsche zu den kommenden Feiertagen entgegen nehmen zu wollen.

Ihr dankschuldiger

Sie hochschätzender 

Egon Schiele.

Im selben Jahr schrieb der junge Schiele Ende 1908 auch seiner Mutter, zwar weniger förmlich, aber erstaunlicherweise doch mit dem Familiennamen unterzeichnet:

Allseits! Prosit Neujahr! Egon Schiele!

Vier Jahre später war Schiele bereits ein vollständiger Künstler. Nach dem Gymnasium hatte er auch die Kunstakademie ohne Abschluss abgebrochen, doch im Gegenzug seine ganz persönliche Ausdruckskunst gefunden und konnte trotz aller Geldsorgen vom Verkauf seiner Werke leben. Nicht nur als Künstler zeigte er großes Talent, sondern auch als Netzwerker. Am 31. Dezember 1912 schrieb Egon Schiele an die Sammlerin Serena Lederer:

Sehr geehrte gnädige Frau!
Ich wünsche allseits ein glückliches Neues Jahr, und werde am 3. Januar, wenn es Ihnen gnädige Frau so recht ist nach Györ kommen, Ihnen küsst die Hand!

Ihr ergebener Egon Schiele

Bereits ein Jahr zuvor hatte ihm Heinrich Benesch, Zentralinspektor bei der k.u.k. Eisenbahn, und seit 1908 väterlicher Freund und treuer Sammler, freundliche Neujahrswünsche übermittelt. Er schrieb dem jungen Künstler am 30.12.1911:

Lieber Herr Schiele! Ich wünsche Ihnen im kommenden Jahr reiche künstlerische und materielle Erfolge und bitte Sie, mir Ihre freundschaftlichen Gesinnungen zu bewahren. Ihr Sie hochschätzender Benesch.

 

1915 war ein Wendepunkt in Schieles Leben: Er heiratete und wurde zum Kriegsdienst eingezogen. Am 2. Jänner 1917 schrieb er an den Kulturvermittler und Literaturkritiker Leopold Liegler folgende Worte, die wir nach den langen Lockdown-Zeiten des Jahres 2020 sehr gut nachfühlen können:

Nun ist der 2. Jänner 1917 gekommen und ich sitze genau noch so da wie im Mai 1916. Sie glauben nicht wie überdrüssig ich von diesem Leben bin. Bei Schiele ist es nicht die Ausgehbeschränkung einer Pandemie, sondern seine Zeit als Soldat in der Kanzlei des Kriegsgefangenenlagers Mühling, die ihn zur Tatenlosigkeit verdammt. Er ist zwar weit weg von den Gefahren der Front, doch auch die Arbeit am Schreibtisch nagt an den Nerven und Schiele beklagt sich bitterlich, dass er die wertvollste Zeit mit Nichtstun und warten verbringen müsse – 18 volle Monate sind es schon. So lange wird unsere Zeit der Einschränkungen hoffentlich nicht dauern. Neben seinem Menagegeld des Militärs, bekam Schiele vom Künstlerfürsorgekomitee monatlich 30 Kronen, was ihm allerdings wenig vorkam, sodass er öfters ansuchte, doch mehr zu bekommen. Nach weiteren Klagen über Geldmangel schließt Schiele diesen Brief: ... überhaupt glaubt man nicht was man als Maler braucht - denn das nimmt ganz unglaubliche Dimensionen an. - Kisten Transporte, Material, Gegenstände u.s.w. - Gönnen muß man sich auch was, - sonst erlebt man nur immer das was der Akademiker oder der Anfänger erlebt. Auch wenn nicht ganz klar ist, warum laut Schiele Akademiker oder Anfänger nichts Aufregendes erleben, kann man ihm nur zustimmen: Es ist höchste Zeit, sich wieder einmal etwas zu gönnen. Reisen, essen gehen, Museumsbesuche! Die eigenen vier Wände mögen für Akademiker oder Anfänger reichen, sind als Input auf die Dauer aber zu wenig. Schiele endet diesen Brief mit einer politischen Betrachtung: ... ich hoffe noch immer – und hoffe daß Deutschland doch zurückziehen wird. Das war freilich nicht der Fall. Der Krieg sollte noch fast zwei Jahre lang dauern – und Egon Schiele nur Tage vor dessen Ende sterben.

Am 13. Jänner 1917 betonte er in einem Brief an seinen Schwager Anton Peschka nochmals die Hoffnung (oder den Wunsch), dass der Krieg bald vorüber gehen möge:

Hoffentlich wird der Krieg doch in diesem Jahr ein Ende nehmen, – so daß wir öfters zusammentreffen. – Der fortwährende Streit ist unschön und wir Menschen sollen einander lieb haben. –

Auf frohes Wiedersehn!
Prosit Neujahr!
EGON SCHIELE

Dem kann man wenig hinzufügen, wir Menschen sollten einander lieb haben. (Andy Warhol brachte das ein halbes Jahrhundert später auf eine ähnliche Formel und hielt fest: I think everybody shold like everybody).

Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs fasste Robert Musil die Gesamtsituation folgendermaßen zusammen: ... es war eine bewegte Zeit, die um Ende 1913 und Anfang 1914. Kein Wunder, dass Rainer Maria Rilke all seine Wünsche für 1914, 1915, 1916, 1917 usf. in einem einzigen Wort ausdrucken konnte: Ruhe.

 

Beitrag von Stefan Kutzenberger