Wiener Geschichten - Leopold Museum Blog

Frische Luft

und strahlendes Licht

Für geistige und körperliche Gesundheit

Strahlend hell, als wären die Fenster aufgerissen worden um frische Luft und gleißendes Licht herein zu lassen – durch die eleganten Räume weht ein neuer Geist der Aufklärung. Als hätte ein neues Menschenbild Platz gegriffen. Der Blick auf den Seelengrund verlangt schier gnadenlose Aufrichtigkeit mit sich selbst. Prof. Sigmund Freuds introspektiver Blick auf das Menschsein macht Schule.  Die Wiener Gesellschaft übt sich in Transparenz. Glatte Oberflächen und pflegeleichte Materialien, weiß gestrichene Wände, helle Möbel, der Verzicht auf Textilien wie sich bauschende, drapierte Vorhänge, von großen Tür- und Fensteröffnungen durchbrochene Wände. Der Raum strahlt Akkuratesse und appetitliche Sauberkeit aus. Die raffinierten, wendigen Stühle, die von Leichtigkeit und Eleganz getragene Möbel – das gesamte Interieur atmet Dynamik und Durchlässigkeit. Ein Blick in den Speisesaal des Sanatorium Purkersdorf verrät, welcher Geist hier weht: Durch große Fenster- und Türöffnungen einfallendes Licht das die Räume durchflutet, glatte Materialien und durchgängiges geschmackvolles und elegantes Design gewährleisten hygienisch einwandfreie und von Helligkeit durchflutete Räume, die einem Heilungsprozess zuträglich sind. Licht, frische Luft und Erreger freie Atmosphäre als Garant für Wohlbefinden und als Signum eines neuen Lebensgefühls. Als wären die Erkenntnisse der weltberühmten zweiten Wiener medizinischen Schule in Architektur gegossen worden. Das Überspannen der weiten Raumstrukturen war durch den Einsatz von Stahlbeton möglich geworden. Wie sein Lehrer Otto Wagner zählte Josef Hoffmann zu den Pionieren des Einsatzes dieser neuen bautechnischen Möglichkeit.

Mensch! Verlornes Licht im Raum, Traum in einem tollen Traum, Losgerissen und doch gekettet, ...

Hugo von Hofmannsthal, Sünde des Lebens

Als Gestalter einer von Schönheit getragenen Welt, setzt der im Mährischen Pirnitz geborene Architekt neue Maßstäbe. Jedes der von ihm entworfene Objekte trägt die Handschrift des planenden Baukünstlers  – ganz gleich ob es sich um ein Sitzmöbel, Speisebesteck, eine Zuckerdose oder einen Kerzenleuchter handelt, Hoffmann „baut“ Gegenstände, er entwirft Dinge wie Gebäude.

Wie sehr die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Zweiten Wiener Medizinischen Schule in seine Entwürfe einflossen lässt sich am Gesamtkunstwerk des Sanatorium Purkersdorf – ein für den Industriellen Viktor Zuckerkandl erbautes Nobelsanatorium das zum Treffpunkt der wohlhabenden Oberschicht wird – eindrücklich nachvollziehen. Ignaz Philipp Semmelweis hatte für seine bahnbrechende Erkenntnis, dass Händedesinfektion nach der Sektion und vor dem Gang in den Kreissaal der Garant dafür wäre, abertausenden Gebärenden das Leben zu retten, Häme geerntet und war trotz der Unterstützung durch führende Mediziner wie dem Pathologen Carl von Rokitansky mit seinen evidenz-basierten Forschungsergebnissen in Wien letztlich gescheitert. Und doch setzte sich die empirisch erforschte Erkenntnis Semmelweis’ um die tödliche Wirkung von Erregern letztlich durch. Ein neuer Wind weht im Wien des Fin de Siècle. Die Bedeutsamkeit von Licht und Luft für physische und psychische Gesundheit manifestiert sich zunehmend im Alltäglichen.

Den Kontakt zwischen Auftraggeber und Architekt vermittelt hatte die Schwägerin des Financiers, Bertha Zuckerkandl-Szeps. In ihrem Salon trifft sich Österreich – wie sie konstatiert. Hier flicht die Intellektuelle, die Romancière, Kunstkritikerin und leidenschaftliche Anhängerin der Idee des Gesamtkunstwerkes als Kämpferin für die Wiener Werkstätte, für die Wiener Secession, für die Moderne ihr dichtes Netzwerk.

Das alles ein wahrer Kontrapunkt zu den Ringstraßensalons mit ihrem von üppiger Pracht geschwängerten Dekor, den Anhäufungen von schwülstigem Schnitzwerk, massiven gedrechselten in dunklem Holzglanz sich schwer und gediegen gebenden Möbeln, der „uteralen“ Weiche und Wärme der Räume in ihren dunklen von bordeauxroten, moosgrünen und kaffeebraunen Tönen und ihrem staubigen dekadenten Dekor der sich unter der Überwucherung von Ornamenten, den schweren  Möbelstoffen, bizarren Bouquets aus Trockenblumen und Gräsern wie die Material gewordene paradigmatische Bestätigung des Aristotelischen Horror Vacui – die fürchterliche Angst vor der Leere – gibt. All das ist aufs Appetitlichste und Reinlichste hier konterkariert. Kein unnötiger Tand. Nichts Hinzugefügtes und Daraufgesetztes. Alles hat seine gestalterische Logik, seine Berechtigung und ist von funktionaler Schönheit getragen. Kein Wunder, dass sich im Sanatorium Purkersdorf nahe der Stadtgrenze die Reichen und Schönen, die Intellektuellen, Literaten und die „angesagtesten“ Künstler ihrer Zeit ein Stelldichein geben und sich in regem Austausch vor den Toren Wiens ihren Kuren hingeben – Wellness à la Fin de Siècle. Das Sanatorium Purkersdorf ist Gesamtkunstwerk. Nichts hat Josef Hoffmann dem Zufall überlassen. Das gesamte Gebäude in Grundriss und Aufriss, der gezielt gesetzte sparsame Dekor, das bis ins letzte Detail durchgestaltete Interieur, sind aus der geometrischen Form des Quadrates entwickelt. Die selbstbewussten aber unaufgeregt Lakonik ausdrückenden Proportionen scheinen für jene  Weltoffenheit zu stehen, der sich Teile der Wiener Intelligenz verpflichtet fühlen.

Nur Gestalt hat Lebensrecht in der Kunst; – was in ihr Geist ist, lebt vom Ungefähr der Worte.

Arthur Schnitzler

Böse Zungen behaupten, Josef Hoffmann wäre ein Hygienefanatiker gewesen. Selbst ein Unterhaltungsetablissement wie das todschicke Cabaret Fledermaus wäre nachgerade steril, ja aseptisch geraten, mit seinen glatten Oberflächen zurückhaltend grau melierten Steins. Kein zweideutiger Plüsch, keine augenzwinkernd überbordend drapierten satten Samtvorhänge und Möbelbezüge, die halbseidene Ideen weniger zu verstecken als vielmehr zu versprechen scheinen und in ihrem staubigen Dreck im Halbdunkel nicht minder schmutzige Ideen zu lustvoller, dekadenter Illusion einer sinnlichen Lebensart zu verdichten erlauben. Die Wiener Nachtschwärmer der zahlungskräftigen Bourgeoisie waren selbstverständlich neugierig hineingeströmt um sich das neue elegante Etablissement anzusehen. Ein Gesamtkunstwerk, das bis ins letzte Detail von formvollendeter Schönheit und fantasievoller Gestaltung durchdrungen und getragen war. Josef Hoffmann machte keine halben Sachen. Diesem Ruf wurde er auch hier gerecht. Allein, sie blieben trotz exzellenter Küche und brillanter Bühnendarbietungen bald aus. Was fehlte war genau diese Portion schmuddeliger Zweideutigkeit die nächtliche Gelüste zu beflügeln vermag. Da half alles nichts. Fritz Wärndorfer musste als Geschäftsführer das Handtuch werfen und das durchgestylte Lokal sechs Jahre nachdem es verheißungsvoll seine Pforten geöffnet hatte, verkaufen. Erste Handlung des neuen Eigentümers um ein bisschen Atmosphäre willen soll gewesen sein, die Türstöcke rosarot lackieren zu lassen.

Und doch: Die Vertreter*innen des Wiener Großbürgertums tragen diese neue Helligkeit eines von Licht durchfluteten Lebensgefühls in ihre Privatheit hinein. Auf der Hohen Warte entstehen Villen, die genau jene Ästhetik zu einem gediegenen Alltag werden lassen. Carl Moll wird zum spätimpressionistischen Chronisten dieses hellen Lebensgefühls werden. Als Schüler Emil Jakob Schindlers hatte sich Moll vom atmosphärisch dichten Licht des Stimmungsimpressionismus emanzipiert und war im Laufe seines langen Künstlerlebens zu einer von divisionistischem Pinselduktus und pointilistischem Farbauftrag vom französischen Impressionismus stark beeinflussten hellen Lichtmalerei übergegangen, die sich in den späten Jahren zu einem kräftigen Kolorismus entwickelte.

1945 nimmt sich Carl Moll gemeinsam mit seiner Tochter Maria und seinem Schwiegersohn Richard Eberstaller, als Wiener Landesgerichts-Vizepräsident einer der einflussreichsten NS-Funktionäre, im von Josef Hoffmann gestalteten, von strahlendem Licht durchschienenen, Haus auf der Hohen Warte das Leben. Der bereits sehr früh bekennende Nationalsozialist und Antisemit Moll hatte nach dem Einmarsch der Roten Armee keinen Ausweg mehr gesehen. Carl Moll war als Mitbegründer der Wiener Secession, als Förderer junger Talente, als treibende Kraft hinter der Gründung der Modernen Galerie – der heutigen Österreichischen Galerie Belvedere, als Kunstmanager, künstlerischer Leiter der Galerie Miethke, als Vermittler von Kunst und Kunsthändler, als Kommissär Österreichs bei der Biennale di Venezia und in vielen weiteren Rollen eine prägende und zentrale Leitgestalt, eine leuchtende Figur der Erneuerung der Kunst in Österreich gewesen. Mit unzähligen – jüdischen – Vertreter*innen der Wiener Gesellschaft hatte Moll intensive Kontakte gepflegt, mit manchen war er befreundet. Gustav Mahler, den ersten Ehemann seiner ebenfalls zutiefst antisemitisch gestimmten Stieftochter Alma, schätzte er zutiefst. Vielen war Carl Moll ein leuchtender Stern und kraftvoller Unterstützer.

„Der Künstler schaffe, der Laie genieße, wenn er dazu befähigt ist. Das Urteil spricht die Nachwelt.“ Mit diesen Worten stellte sich Carl Moll schützend vor Klimt, als dieser mit seinem Fakultätsbild „Medizin“ auf heftiges Unverständnis stieß und einen Skandal vom Zaun brach.

Nach 1933 ließ Moll die Kontakte zu zahllosen jüdischen Mäzenen, Sammlern und künstlerischen Mitstreitern mit denen er bis dahin in regem Austausch gewesen war, versanden. Manche von ihnen – wie Ferdinand Bloch Bauer oder Moriz Gallia – ließ er nach 1945 regelrecht im Stich. Aus Überzeugung bekannte sich Moll zu jenem Regime, das geistige und körperliche Gesundheit zum Ideal erhob und Menschen die diesem – aus welchen Gründen auch immer – nicht entsprachen vernichteten.

Wie viel Schatten geworfen, wie viel Dunkelheit trotz großer Strahlkraft verbreitet wurde lässt sich in der Ambivalenz der Künstlerpersönlichkeit Carl Molls auf beklemmende Weise nachvollziehen. Unbestritten sind seine künstlerischen Leistungen und seine beachtlichen Verdienste um Österreichs Kunst- und Kulturleben. Seine politische Haltung und seine Abkehr von humanistischen Grundwerten stimmen nachdenklich. Um es in ein metaphorisches Bild zu gießen: Frische Luft und strahlendes Licht wichen erstickendem Gift und beklemmender Düsternis.

 

Beitrag von Markus Hübl