JULIUS ZIMPEL, Backhausen (Execution), Design 10026-1 for the dining room of the Knips villa, 1925 © The Backhausen Archive, bequest from Dr. Louise Kiesling, on permanent loan at the Leopold Museum | Photo: Leopold Museum, Vienna
Wiener Geschichten - Leopold Museum Blog
Ornamentale
Welterzählung
in textiler Eleganz
In psychedelischer Exaltation winden sich zackige Blattranken in leuchtkräftigem Pink über den Teppich, um sich als raffinierte Exotismen in zartem Rosa und Grau über die stoffbespannten Sitzmöbel des Speisesalons auszubreiten. Sublim korrespondieren die Stoffentwürfe von Dagobert Peche und das Teppichdesign Julius Zimpels mit dem an der Wand prangenden Gemälde von Gustav Klimt. Es zeigt Sonja Knips, die Herrin des Hauses. Mit blassem Teint, umhüllt von einem duftig leichten Tüll-Sommerkleid, wurde sie vom Maler in jugendliche Ewigkeit gebannt. So funktioniert Gesamtkunstwerk! Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Um die schlichte, endlos lange Tafel reihen sich fauteuilartige stoffbespannte Stühle, hell erstrahlt die intensive Farbigkeit des gediegenen Raumes.
Wer in Wien in der Zeit um 1900 etwas auf sich hält, lässt seine eigenen vier Wände im Geiste der Wiener Werkstätte gestalten. Modern, avantgardistisch, aufgeschlossen und mit einem unbändigen, zuweilen verspielten Gestaltungswillen entwickeln die Architekten und Künstler*innen einen Reichtum an formaler Ausdruckskraft, die zeitgemäß und zeitlos zugleich wirkt.
Die Liste der Entwerfer*innen der von der Firma Backhausen gewebten Stoffe für die Interieurs der Oberschicht liest sich wie das Who’s who der Wiener Moderne: Otto Wagner, Josef Hoffmann, Koloman Moser, Joseph Maria Olbrich, Dagobert Peche, Otto Prutscher, Alfred Roller, Eduard Josef Wimmer-Wisgrill, Max Benirschke, Leopold Forstner, Josef Frank – um nur einige zu nennen.
Textilien, wohin das Auge blickt: Das wirtschaftlich erstarkte Großbürgertum entwickelt subtile Codes: Wer es sich leisten kann, Boden, Wände, Möbel mit textiler Bespannung zu versehen und die Fenster von Kaskaden an Vorhängen umspielen zu lassen, stellt nicht nur seinen Reichtum zur Schau, er legt auch modernen Geschmack, Extravaganz und Mut an den Tag. Ob es sich um die Innenstadtwohnungen handelt, wie jene von Moriz und Hermine Gallia in der Wohllebengasse, oder um die Villen in noblen Randlagen, wie den stilprägenden Salon Berta Zuckerkandl-Szeps in Döbling und später im Palais Lieben-Auspitz neben dem Burgtheater, oder um Landhäuser in ruhiger Einzellage wie jene von Otto und Eugenie Primavesi: Ohne den orgiastischen Reichtum an ornamentaler Textilgestaltung kommen diese raffinierten Interieurs nicht aus!
Produziert werden die qualitativ hochwertigen Stoffe vom k.u.k. Hoflieferanten Johann Backhausen. Ursprünglich vom Halbseiden- und Modenwarenfabrikant Jakob Backhausen gegründet, hatten die beiden Söhne Carl und Johann das Familienunternehmen nach dem frühen Tod des Vaters gemeinsam übernommen. 1853 wechselt „Johann Backhausen, k.k. ausschließlich privilegierte Mode- und Chenillefabrik“ von der Herstellung hochwertiger Modestoffe auf die Produktion von Möbel- und Vorhangstoffen, Damasten, Brokaten sowie Teppichen aus Seide und Wolle. Das Unternehmen expandiert und produziert mit höchstem Qualitätsanspruch im Waldviertel und im tschechischen Chotěboř. 1864 etablieren Johann Backhausen und dessen Söhne Carl und Jean den Einzelhandel des Familienbetriebs „Johann Backhausen & Söhne“ im neu errichteten Heinrichhof gegenüber des im Bau befindlichen Hofoperntheaters. Mit dem Bau der Kaiser-Franz-Josephs-Bahn einhergehend – der neuen Transportstrecke zwischen Wien und Prag – verlegt die Familie ihre Manufaktur nach Hoheneich im Waldviertel.
EXHIBITION VIEWS "POETRY OF THE ORNAMENT" © Leopold Museum, Vienna, Photo: Leni Deinhardstein
Die Geschichte des Unternehmens spiegelt die historischen, technischen, ökonomischen und sozialhistorischen Veränderungen der Donaumonarchie wider. Wie eine Metapher für die komplexen gesellschaftlichen Netzwerke in einer Zeit kultureller Hochblüte stellen sich die in Schuss und Faden erstellten Manifestationen der Firma Backhausen dar. Der Bogen ihres formalen Ausdrucks spannt sich vom Neobarock der frühen Ära bis hin zu bestechend avantgardistischen Entwürfen, die das gesamte Spektrum an Einflussgrößen – barocke Opulenz, Biedermeiereleganz, Japonismus, altägyptische und byzantinische Ornamentik sowie die Strenge der Formkunst – amalgamiert und in eine neue Ästhetik überführt. Vor allem aber ist der Unternehmensgeschichte das Schicksal Europas gewissermaßen eingeschrieben – in die dichte Ästhetik der Flechtwerke regelrecht eingewoben.
Beitrag von Markus Hübl