RUDOLF WACKER, Small Sheep and Doll, 1934 © Collections of the Oesterreichische Nationalbank | photo: Oesterreichische Nationalbank/Graphisches Atelier Neumann
Wiener Geschichten - Leopold Museum Blog
EROTISCHE EXPRESSION
UND OBSESSIVE STILLE
Zur Ausstellung "Rudolf Wacker"
Rätselhaft, irritierend und faszinierend: Sexuelle Fantasien, erotische Obsessionen und zwischenmenschliche Beziehungsgeflechte werden auf leblose Objekte, Puppen und Kinderspielfiguren projiziert. Rudolf Wacker erschafft eine verstörende und gleichermaßen fesselnde kleine Welt der scheinbar lebendig gewordenen und dennoch leblosen Dinge. Verdreht, geknickt, sich lasziv räkelnd und windend, bieten bemalte Stoffpuppen mit Frisuren aus Wollhaarbüscheln, japanische Porzellanpüppchen mit fein ziselierten Gesichtern und halbgeöffneten Mündern und bürgerliche Porzellanpuppen mit starren Glasaugen, Echthaarperücken, klaffenden Spitzenunterhöschen und Korsagen eine Projektionsfläche für die seelischen Abgründe des Malers. Der Hans Wurst mit phallischer Nase als Wackers Alter Ego und das hausbackene Gretel an seiner Seite sind in einen binären Geschlechterkampf verstrickt, der in einem Mikrokosmos aus Kinderspielzeug und Kasperletheaterreminiszenzen ausgetragen wird.
Bereits als Gymnasiast entdeckt der Vorarlberger seine Leidenschaft fürs Zeichnen und Malen. Nach seiner Ausbildung an der Fachschule für gewerbliches Zeichnen in Bregenz übersiedelt er nach Wien. Die aufgeladene Atmosphäre der Residenzhauptstadt, die Ambivalenz zwischen starrem Konservatismus und weitblickender Intellektualität, die provokanten Manifestationen einer jungen Avantgarde, die sich von den fesselnden Einschränkungen bürgerlicher Konventionen befreit, machen auf den kreativen jungen Mann Eindruck: Egon Schiele, Max Oppenheimer und Oskar Kokoschka sprengen die Ketten und definieren die Grenzen neu; Sigmund Freuds Paradigmen werden in Kunst gegossen. Und dann die Kränkung: Wacker scheitert an der Aufnahmeprüfung für die Akademie der bildenden Künste. 1911 geht er nach Weimar, um an der Zeichenschule bei Albin Egger-Lienz und Walter Klemm seine Ausbildung fortzusetzen. Es entstehen expressive Zeichnungen und Grafiken.
Nach der Einberufung an die Front gerät Wacker 1915 in fünfjährige Kriegsgefangenschaft nach Sibirien. Traumata, Entbehrung, Hoffnungslosigkeit. Als er 1920 nach Berlin geht, offenbaren sich ihm neue Welten: Die Avantgarde der 1920er-Jahre einerseits, die Expertise der Restaurator*innen und Kurator*innen der Berliner Museen andererseits. Inspiriert von den symbolisch aufgeladenen Vergänglichkeitsvisionen der Stillleben- und Blumenmaler des 17. Jahrhunderts entwickelt Wacker eine altmeisterlich anmutende Technik mit Temperauntermalung und Harzöllasuren. Die Wirkung der wächsern glatten Malstrukturen ist täuschend echt.
Auf den Ersten Weltkrieg folgt aber auch eine Zeit politischer Unsicherheit und gesellschaftlicher Umbrüche. In seinen Stillleben im Stil der Neuen Sachlichkeit macht Wacker diese Ambivalenzen sichtbar. Er bringt inhaltlich aufgeladene Dinge in neue Zusammenhänge. Ihre eigentümlichen Beziehungsgeflechte ermöglichen mannigfaltige Assoziationsketten. Stillleben mit Haubensteißfuß von 1928 ist eines dieser subtil verstörenden und faszinierenden Werke. Der auf einen Baumschwamm montierte ausgestopfte Wasservogel mit Glasaugen und balzend aufgefächerter Federhaube thront hochgereckt auf einer Zigarrenschachtel, sein Gegenspieler – ein Kaktus im Pflanzentopf – auf einem verblassten Exemplar der avantgardistischen Kulturzeitschrift Der Querschnitt. Zufall oder verklausulierte Botschaft?
Gegenstände werden zu hintergründig metaphorischen Vertretern einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint. Nach 1933 werden die Andeutungen in Wackers Stillleben immer subtiler. Seine Nähe zum Kommunismus ist in Bregenz offenes Geheimnis. Weitsichtig schafft er inkriminierendes Material aus dem Haus. Nichtsdestotrotz: Die Wohnung in der Villa der Eltern wird von den Nazis durchwühlt. Der an Angina Pectoris laborierende Wacker erleidet einen Herzanfall, ein weiterer folgt nach einem Kreuzverhör durch die Gestapo. Kurzzeitig verbessert sich der Gesundheitszustand des Künstlers noch einmal, ehe er 1939 im Alter von 46 Jahren stirbt.
Beitrag von Markus Hübl