Koloman Moser, Schablonendruck für die Umschlaggestaltung der 1. Gründermappe von "Ver Sacrum" mit dem Emblem der Secession, 1899 © Leopold Museum, Wien, Foto: Leopold Museum, Wien
Wiener Geschichten - Leopold Museum Blog
KUNST
AUF DIE STRASSEN!
Das Plakat als Kunstwerk
Ob Pink Floyd, später die Backstreet Boys oder heutzutage Taylor Swift: Wir alle holten uns unsere prominenten Idole in Plakatform in die Jugendzimmer. Doch das Plakat ist mehr als eine moderne Ikone oder ein bloßes Mittel zum Zweck kommerzieller Reproduktion. Es ist schon längst zum autonomen Kunstwerk geworden.
Sucht man nach den Anfängen der Plakatkunst, so muss man zunächst auf das Ursprungsmedium blicken: die Druckgrafik. In Europa kam diese im künstlerischen Kontext etwa um 1400 auf. Zunächst unterwarf man die Grafik der frommen Bestimmung, religiöse Andachtsbilder in jeden Haushalt zu bringen. Diesen Bildern lag noch kein künstlerischer Anspruch zugrunde, vielmehr verstanden sich ihre Erschaffer als Handwerker, die meist namentlich nicht bekannt waren. Und dennoch: Erstmals hielten Bilder Einzug ins Privatleben, waren sie doch bis dahin lediglich Kirchenräumen sowie einer wohlhabenden Oberschicht vorbehalten gewesen.
ALBRECHT DÜRER, Emmaus-Mahl (aus: Die Kleine Passion), um 1510 © Lizenzfrei
Als einer der Ersten nutzte Albrecht Dürer (1471–1528) das Vervielfältigungspotenzial der Druckgrafik, um seine Werke großflächig in Umlauf zu bringen. Ferner produzierte Dürer auch profane Druckwerke und kam als inventor ebendieser Bildsujets zu einem neuen künstlerischen Selbstverständnis, welches die Druckgrafik – also das reproduzierbare Bild – allmählich zum eigenständigen Kunstwerk erhob.
Wir wechseln den Standort und die Zeit: Paris, knapp vier Jahrhunderte später. In der Metropole an der Seine lebte ab 1872 ein junger Künstler namens Henri de Toulouse-Lautrec (1864–1901). Der einem alten Adelsgeschlecht entstammende Künstler, der aufgrund von Erbkrankheiten lediglich eine Körpergröße von 152 Zentimetern erreichte, schuf in der Belle Époque zahlreiche Bildnisse des Pariser Nachtlebens. Ein häufiges Motiv war beispielsweise das namhafte Varietétheater Moulin Rouge, aber auch für andere Lokale wie das Chat Noir oder für zeitgenössische Musiker schuf Toulouse-Lautrec bald Werbeplakate im Medium der Farblithografie. Heute sind sie begehrt und kostspielig, war doch Toulouse-Lautrec nicht nur einer der Wegbereiter der Plakatkunst als eigenständige Kunstgattung, sondern auch ein berühmter Maler.
Wieder drehen wir die Uhr ein paar Jahre weiter und landen in Wien. Die Wiener Secession – gegründet 1897 – propagierte stets den Gedanken des Gesamtkunstwerks, also die Durchdringung aller Lebensbereiche mit Kunst. Und was eignete sich besser dazu, Kunst unter die Menschen zu bringen, als das vielfach reproduzierbare Plakat? Diesen oder freilich einen ähnlichen Gedanken dürften auch die Secessionisten gesponnen haben. Für jede ihrer Ausstellungen wurde ein eigenes Plakat gestaltet. Ferner: Jedes Plakat wurde von einem Secessionsmitglied entworfen und so zu einem einzigartigen Kunstwerk erhoben. Dabei spiegelten die Plakate oftmals ausgeklügelte Bildprogramme wider: Das Plakat zur I. Kunstausstellung der Wiener Secession von Gustav Klimt (1862–1918) zeigt den antiken Helden Theseus im Kampf mit dem vermeintlich übermächtigen Gegner Minotaurus und thematisiert auf diese Weise den geistigen Sieg der modernen Kunst über die akademische Tradition. 1918 gestaltete Egon Schiele (1890–1918) das Plakat zur XLIX. Ausstellung der Wiener Secession und nannte es Tafelrunde. Aus seinen zeitgenössischen Künstlerkollegen wird hier eine Rittergesellschaft im Stile anglo-normannischer Heldensagen, an deren Tafel ein Platz bewusst leer bleibt: jene Lücke, die Schieles jüngst verstorbener Mentor Gustav Klimt mit seinem Tod in der Secession hinterlassen hat.
Dereinst wurde die Plakatkunst gerne als „Gemäldegalerie des armen Mannes“ bezeichnet – ein Ausdruck, der durchaus Wahrheit sprach. Denn so charmant der secessionistische Gedanke des Gesamtkunstwerks auch gewesen sein mag, so elitär war er doch in Wirklichkeit. Man bedenke: Wer konnte sich Kunstgewerbe aus der Hand der Wiener Werkstätte leisten? Sicherlich nicht die Arbeiterbevölkerung. Demnach war das Plakat schon damals die einzige Kunst, die wirklich von allen konsumiert werden konnte.
Die Reise durch die Geschichte der Plakatkunst führt noch weiter in die amerikanische Pop Art der 1960er-Jahre, welche den Reproduktionsdrang der zunehmend technologisierten Gesellschaft zu hinterfragen suchte. Doch heutzutage dürfen wir einfach dankbar sein, dass die Kunst Einzug in unsere Wohnungen gehalten hat und uns täglich erfreut.
Beitrag von Sophie Touzé