Wiener Geschichten - Leopold Museum Blog

Endlich Sommer!

Sommerfrische im Salzkammergut um 1900

Sommer ist es, endlich! Dank gesunkener Coronazahlen ist es wieder möglich zu reisen und nach langen Monaten in den eigenen vier Wänden können wir beginnen, einen dringend benötigten Tapetenwechsel zu planen. Die sommerliche Flucht aus dem Alltag gab es natürlich auch schon vor COVID: Um wenigstens für kurze Zeit den negativen Seiten der alles bestimmenden wirtschaftlichen Produktivität entkommen zu können, entstand in England nach der industriellen Revolution das Konzept des Urlaubs. Zuallererst musste dafür eine passende Landschaft entdeckt werden, in welcher es möglich war, den Traum des unbeschwerten Sommers zu leben. Nicht von ungefähr ist kunstgeschichtlich gesehen das Landschaftsgemälde als eigenständige Form ebenfalls in England entstanden. Der Sommerfrischeort wird zum Utopia der gestressten Stadtbevölkerung. In Österreich war das vor allem – auch durch das Vorbild des Kaisers, der die Sommer in Bad Ischl zu verbringen pflegte – das Salzkammergut.

Für manche Künstler war das Salzkammergut allerdings nicht nur Ort entspannter Ruhe, sondern auch Quelle größter Schaffenskraft, wie es die Sommer 1907 und 1908 in großer Intensität beweisen: Arnold Schönberg und Richard Gerstl weilten damals am Traunsee und führten sowohl die Musik als auch die Malerei in einem kreativen Gewaltakt in die Moderne, sodass man überspitzt formuliert sagen kann, dass sowohl das Ende der Tonalität in der Musik als auch der Beginn des Expressionismus in der bildenden Kunst beim Hoisn, am Ostufer des Traunsees, gesetzt wurden.

„Das Wetter ist bis jetzt ganz schlecht gewesen“, schrieb Egon Schiele im Juli 1913 aus der Sommerfrische, ebenfalls am Traunsee, an seinen Schwager Anton Peschka, räumte jedoch ein, dass der See, und vor allem der Traunstein, sehr schön wären. Das unbeständige Wetter des Salzkammerguts ist bis heute ein wichtiges Thema jedes Urlaubers und entscheidet manchmal über Erfolg oder Misserfolg der Sommerfrische. Denn vielleicht war ja der kalte Juli 1913 Schuld daran, dass aus Schiele kein begeisterter Stammgast am See geworden ist oder auch daran, dass er während seines Aufenthalts kein einziges Bild malte.

Die ersten Landschaftsbilder Gustav Klimts stammen aus dem Jahr 1898, er war bereits 36 Jahre alt und Präsident der Secession. Trotz dieses späten Beginns sind von seinen etwa 230 bekannten Gemälden fast ein Viertel Landschaften, die wiederum nahezu alle am Attersee entstanden sind. Ab 1899 haben seine Landschaftsbilder ausschließlich das strenge Quadratformat, das seinem meditativen Suchen nach Ruhe am besten Ausdruck verleiht. Mit Hilfe eines „Suchers“, einem kleinen, quadratischen Rahmen aus Pappe oder Elfenbein findet er seine überraschenden, oft gegen jede traditionelle kompositorische Regel verstoßenden Bildausschnitte. Es sind deshalb gerade die Landschaftsdarstellungen, in denen sich Klimt bei genauerer Betrachtung als Meister der Moderne offenbart und in denen er seine Kunst formal kühn in ihrem reinsten Wesen offenbart.

„Stimmung ist der Inhalt der modernen Kunst“

Alois Riegl, 1899

Die Sommer von 1900 bis 1916 verbrachte Gustav Klimt gemeinsam mit seinem „Lebensmenschen“ Emilie Flöge und deren Familie am Attersee, in ständiger Suche nach Ruhe und Abgeschiedenheit. In seinem geliebten Salzkammergut fand er Abstand von den Intrigen und Komplikationen der Wiener Kunstwelt, er schuf Kunst ohne Auftragsgeber, nur für sich selbst, unternahm lange Spaziergänge, machte Bootsfahrten und schwamm im See, was damals noch als unanständig galt. Im langen, weiten Künstlermantel wirkte Klimt auf die Einheimischen etwas befremdend und wurde von ihnen als „Waldschrat“ bezeichnet. Um sich das mühselige Tragen der Arbeitsutensilien zu sparen, versteckte er seine Bilder angeblich einfach im Wald, wo er oft alleine anzutreffen war und auch bei schlechtem Wetter unermüdlich an seinen Leinwänden arbeitete.

Eine der ersten Landschaftsdarstellungen Klimts am Attersee ist auch gleich eine der radikalsten, der See selbst nämlich (Attersee, 1900). Das Gemälde zeigt einen „Rahmen voller Seewasser“, wie der zeitgenössische Kunstkritiker Ludwig Hevesi treffend feststellte. Die Leinwand fasziniert bis heute durch die Konzentration des Künstlers auf das Spiel der türkisen Wellen, die nebelig-fliederfarbene Atmosphäre am Horizont und die verschwommene Baumsilhouette auf der Insel. Still und ruhig liegt der See da, denn „Stimmung ist der Inhalt der modernen Kunst“, wie der berühmte Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl schon 1899 in einem Aufsatz feststellte. Stimmung gehe aus Ruhe und Fernsicht hervor, kein Laut, keine Bewegung dürfe den Anblick stören. Das Bild „Attersee“ ist ein Gegenentwurf Klimts zur Geschäftigkeit des Stadtlebens und zum Überlebenskampf in der modernen Gesellschaft.

Klimt fand seine Landschaftsbilder immer ganz in der Nähe seiner Sommerunterkunft, wie auch die wuchtige Pappel in Litzlberg (Die große Pappel II, aufziehendes Gewitter, 1902/03). Angeregt durch den Pointillismus, begann er die Flächen wie ein farbiges Mosaik auf dekorative Weise zu beleben. Die Farbtupfer und kurzen Striche tauchen vor allem bei der Pappel und der dahinter liegenden Landschaft auf.

Im Sommer 1915 meldete sich Gustav Klimt mit einer Ansichtskarte vom Attersee bei seiner Schwester Hermine in Wien: “Wohlbehalten angekommen”, schrieb er, “Operngucker vergessen – brauche notwendig. Helene wird ihn mitnehmen.” Wozu brauchte der Maler auf Sommerfrische, wo es weit und breit weder Oper noch Theater gab, so dringend einen Operngucker? Seine Nichte Helene Donner erinnerte sich in den 1960er Jahren daran, dass Klimt den Operngucker beim Malen seiner Atterseelandschaften verwendet hatte.

Warum Klimt sich die Mühe antat, sein Motiv durch ein Objektiv zu betrachten, bleibt Spekulation. Durch die technisch veränderte Wahrnehmung der Wirklichkeit beweist er aber auf jeden Fall eine sehr moderne Haltung, die nicht zuletzt für die epochale Bedeutung seiner Landschaftsbilder ausschlaggebend ist. Demgegenüber ist das Fernrohr auch ein romantisches Fluchtmotiv aus den Wirren der Gegenwart, die im Fall Klimts vom zerfallenden Habsburgerreich bis zum Weltkrieg reichten. Klimts Kunst sucht das paradiesische Anderswo, das sich nur mit einer starken Vergrößerung am Horizont erahnen lässt.

 

Beitrag von Stefan Kutzenberger