Wiener Geschichten

Ab ins Wasser!

Badekultur in Wien

Leopold Museum Blog

Einen Sprung ins kalte Wasser wagen oder doch lieber in warmen Wannen entspannen? Ob zum Sport, als Freizeitaktivität, als Hygiene und Körperreinigung, zur Erholung oder zu Therapiezwecken – innerhalb der letzten zweihundert Jahre entwickelte sich Wien zu einer Bäderstadt.

Erst anfangs des 19. Jahrhunderts wurde die spätmittelalterliche Skepsis gegenüber dem kühlen Nass vollständig überwunden. Ab 1813 konnte das männliche Bürgertum in der späteren k. k. Militär- und Zivilschwimmschule an seinen Schwimmtechniken feilen. 1830 folgte Österreichs erste Damenschwimmschule am Wiener Kaiserwasser. Angesichts der steigenden Nachfrage erlebte Wiens Badekultur mit dem Ausbau von Heil- und Freibädern sowie beheizbaren feudal-bürgerlichen Badeanstalten in den 1840er-Jahren einen ersten Aufschwung.

August Rieger: Alte Donau mit Badenden. (1935)August Rieger: Alte Donau mit Badenden. (1935) © Leopold Museum, Wien 2023

Ströme eleganter Badelustiger fanden sich in den neu errichteten Schwimmpalästen – dem Sittenverständnis des Biedermeiers entsprechend nach Geschlechtern getrennt – zum Warmbaden und Schwimmen ein. An der heutigen Oberen Donaustraße 93–95 gelegen, war das Dianabad ursprünglich bloß eine sogenannte Wannenbadeanstalt, wo man sich in Zinkbadewannen wusch, die mit erwärmtem Wasser aus dem Donaukanal befüllt wurden. Im Zuge der Umbauten zwischen 1829 und 1843 entstand daraus ein Prachtbau mit der damals größten und ersten überdachten Schwimmhalle Europas.

Ab den 1860er-Jahren ließ der Enthusiasmus um die im Winter beheizten Schwimmhallen jedoch nach und ihr Betrieb wurde unrentabel. Von nun an konnte man in der kalten Jahreszeit statt ins Wasser in die Menge eintauchen, denn kurioserweise wurden die Schwimmbassins abgedeckt und in Tanzflächen verwandelt. In den Badehallen logierten nun Bälle, Konzerte und andere Tanzveranstaltungen. Schwerer roter Samt hing jetzt von den gusseisernen Bögen des Dianabades und ein ausladender Bronzeluster warf sein Licht auf schwingende Röcke und Hosenbeine.

„3mal mußte der Gefertigte auf das Bitten der Badediener, welche kaum mehr ihren Platz behaupten konnten, die Kartenausgabe unterbrechen, aber ebensooft wieder den stürmischen Drohungen nachgeben und die Kasse wieder öffnen.“

– 19. Mai 1888, aus dem Rapportbuch des Bademeisters Lenglin, Volksbad in der Mondscheingasse 9

Die sich selbst über den Kopf wachsende Metropole war nicht nur von Prunk, sondern auch von Armut geprägt. Angesichts der katastrophalen Wohn- und Lebensverhältnisse, die Seuchen und Krankheiten hervorriefen, wurde der Zugang zu Bädern für die Mehrheit der Wiener*innen um die Jahrhundertwende eher eine Notwendigkeit als ein Freizeitvergnügen.

Um der ausufernden Not zu begegnen, wurde unter der christlich-sozialen Stadtregierung 1886 der Bau von Volksbädern in allen Bezirken beschlossen. Das erste eröffnete in der Mondscheingasse 9 und heimste den Brausebädern alsbald den Namen „Tröpferlbäder“ ein: Angesichts des stürmischen Andrangs floss nur tropfenweise Wasser aus den Duschhähnen. Zu niedrigen Preisen erhielt man hier ein Handtuch und die Möglichkeit, in 30 Minuten hygienische Grundbedürfnisse zu befriedigen.

Als Erholungsort für die breitere Bevölkerung errichtete die Stadt das bis heute erhaltene Jörgerbad, das seit 1912 in der Jörgerstraße 42–44 steht. Erstmals spielten auch die Bedürfnisse von Kindern beim Bau eine Rolle. Abgesehen von Dusch- und Bademöglichkeiten erhielt das Bad Dampf- und Heißluftbäder, Ruheräume und Sonnenterrassen auf dem Dach. Die Ausstattung im Stil der Wiener Werkstätte und die Wandmalereien von Oskar Laske schenkten dem Schwimmbad seine Atmosphäre.

Oskar Laske Giraffenfräulein. Entwurf für das Jörgerbad. 1912/14Oskar Laske Giraffenfräulein. Entwurf für das Jörgerbad. 1912/14 © Leopold Museum, Wien 2023

„Wer Kindern Paläste baut, reißt Kerkermauern nieder.“  

Stadtrat Julius Tandler

Damit verwies der Stadtrat Julius Tandler im sozialdemokratischen Roten Wien nicht nur auf lebenswerten Wohnraum im Gemeindebau, sondern auch auf die Errichtung zahlreicher kostenfreier Kinderfreibäder zur Steigerung der Lebensqualität. Diese Neuheit in der Bäderlandschaft war so beliebt, dass sie 1928 beispielsweise 1.223.000 junge Gäste verzeichnen konnte.

Wiens Freibäder und Donaustrände versprachen seit jeher die Ausgelassenheit eines Kurzurlaubes. Nach der Donauregulierung 1875 verschwanden die Badebuchten in den Donauarmen. In den neuen Strombädern und dem um 1900 vom Naturapostel und Pionier der Freikörperkultur Florian Berndl entdeckten Gänsehäufel entfloh man nun beim Schwimmen, Plantschen und Entspannen dem urbanen Alltag.

In der Entwicklung der städtischen Badekultur spiegelten sich oftmals gesellschaftliche Bedürfnisse im Wechselspiel mit städtebaulichen Entscheidungen wider. Wien wuchs so zu der Bäderstadt heran, die heute bei den nach Wasser dürstenden Körpern und Geistern ihrer Bewohner*innen kaum Wünsche offenlässt.

 

Beitrag von Regina Reisinger