Wiener Geschichten - Leopold Museum Blog

Mehr als Worte:

die Postkarte

Wegen der fehlenden Verhüllung durch das Kuvert wurde sie in den 1860er-Jahren noch als „unanständige Form der Mitteilung auf offenem Postblatt“ beurteilt und für eine sittliche Bedrohung gehalten. Bald war aber der Siegeszug der Postkarte im sich industrialisierenden Europa nicht mehr aufzuhalten. Glückwünsche, Liebesbekenntnisse, Nachrichten von der Front oder Reisegrüße, egal ob Außerordentliches oder Gewöhnliches – die Postkarte wurde zur alltäglichen Überbringerin kurzer Botschaften.

Eine deutsch-österreichische Erfindung? 1865 schlug der deutsche Generalpostdirektor Heinrich von Stephan erstmals die Versendung kostengünstiger Mitteilungen auf einfachen Karten vor. Während man in Deutschland noch um etwaigen Sittenverlust durch das Aufkommen von Postkarten bangte, ging die Rechnung des österreichischen Nationalökonomen Emanuel Hermann buchstäblich auf: 1869 etablierte Österreich-Ungarn auf seinem Staatsgebiet die „Correspondenz-Karte“ als neues, leistbares Kommunikationsmedium. Noch im selben Jahr erreichten ca. drei Millionen dieser Karten Haushalte in der Doppelmonarchie.

In Zeiten der Industrialisierung rief die Postkarte Mitte des 19. Jahrhunderts geradezu danach, erfunden zu werden. Günstige Großproduktion von Papier war möglich geworden, die Alphabetisierung schritt voran, findige Ökonomen optimierten leistbare Versandsysteme, Drucktechniken entwickelten sich rasant und trafen auf die Verbreitung der Fotografie. Nicht jede Nachricht bedurfte der Geheimhaltung durch einen Umschlag und außerdem waren die Postwege damals bereits sehr effizient: Heute können wir darüber staunen, dass die Zustellung in Wien um 1900 werktags sieben Mal stattfand und innerstädtisch nur etwa zwei Stunden in Anspruch nahm.

Postkarte von Egon Schiele aus Tarvis an Franz Hauer in Wien, 1913Postkarte von Egon Schiele aus Tarvis an Franz Hauer in Wien, 1913 © Leopold Museum, Wien 2023

„Herrn Regierungsrat Professor Josef Hoffmann […] Einstweilen meinen ergebensten Dank mit herzlichstn Grüssn Egon Schiele.“

– Egon Schiele an Joseph Hoffmann am 18. Juli 1913.

Anfangs war die eine Seite der Karte für die Adresse bestimmt, die andere für die meist in Telegrammstil verfasste Mitteilung. Bebilderungen ließen aber kaum auf sich warten. Ab 1870 ließ man Drucke, Zeichnungen und Texte auf der Mitteilungsseite miteinander verschmelzen und kringelte manchmal die Grußworte wie einen Rahmen um das Bild. Einzelne Druckereien spezialisierten sich auf die Herstellung handlicher Motive. Das Bürgertum entdeckte ein neues Hobby für sich, die Philokartie: das leidenschaftliche Sammeln von Postkarten, insbesondere bestimmter Sujets. Um 1904/05 erhielt die damals höchst beliebte Korrespondenzkarte ihre uns heute vertraute Form: eine Bildseite und eine in Mitteilungs- und Adressfeld geteilte Textseite.

„Und wieder Sonne! […] Allerherzlichste Grüße Gustav“

 

 

Gustav Klimt an Emilie Flöge am 25. Juni 1915

Rege Nutzung erfuhr die Postkarte alsbald durch Kunstschaffende aller Sparten. Schriftsteller wie Peter Altenberg oder Karl Kraus verwendeten das prägnante Kommunikationsmittel zum Senden von Aphorismen, Schauspieler*innen und Tänzer*innen präsentierten sich auf attraktiv gestalteten Karten und auch zahlreiche bildende Künstler*innen ließen ihre Werke auf diesem Weg um die Welt wandern, schickten einander Inspirationen und Impressionen und entdeckten in den kompakten Bildträgern ein wirksames Werbemittel. Eine Vielzahl der erhaltenen Postkarten zwischen dem Maler Gustav Klimt und der Modeschöpferin Emilie Flöge dokumentiert deren lebendigen Austausch, für den sie die unterschiedlichsten Motive nutzten: Malerische Urlaubsansichten, Abbildungen von Wien und niedlichen Zootieren, aber natürlich auch die an elegantem grafischem Design kaum zu übertreffenden Kunstkarten der Wiener Werkstätte finden sich darunter.

Die Popularität der Postkarte und das Anliegen der Wiener Werkstätte, Kunst in alle Lebensbereiche zu tragen, führten zu einer besonderen Symbiose. Ihr Repertoire reichte von klassischen Sujets wie Festen, Stadtansichten und Modezeichnungen bis hin zu humorvollen, skurrilen und ausgefallenen Bildthemen – meist in kontrastreicher und farbintensiver Stilisierung. Werke von Künstlern wie Oskar Kokoschka, Egon Schiele, Josef Hoffmann, Rudolf Kalvach und Berthold Löffler konnten bei der Wiener Werkstätte in gedrucktem Kleinformat erworben werden. Auch junge Künstlerinnen wie Mela Köhler, Maria Likarz-Strauss und Susi Singer wurden durch das Medium der Postkarte einem breiteren Publikum bekannt.

Beitrag von Regina Reisinger, Kunstvermittlerin im Leopold Museum