16.09.2022 - 06.02.2023

HAGENBUND

Von der gemässigten

zur radikalen Moderne

Der Künstlerbund Hagen wurde im Jahr 1900 – wie drei Jahre zuvor die Wiener Secession – als Reaktion auf den Konservativismus des Künstlerhauses gegründet und etablierte sich spätestens in den 1920er-Jahren als „heute radikalste Gruppe“ (Robert Musil, 1922) innerhalb der drei großen Wiener Künstlervereinigungen. Ihren Namen verdankt die meist nur „Hagenbund“ genannte Vereinigung Josef Haagen, dem Besitzer des Gasthauses „Zum blauen Freihaus“ in der Wiener Gumpendorfer Straße, eines seit den 1880er-Jahren beliebten Künstlertreffs. Spätestens mit dem Austritt Gustav Klimts aus der Secession 1905 und den darauffolgenden Präsentationen bei den Wiener Kunstschauen von 1908 und 1909 etablierte sich die vom Hagenbund ab Jänner 1902 betriebene Ausstellungshalle im ersten Wiener Bezirk als führende Plattform für junge, progressive Kunst.

"Der Hagenbund will eine Kameradschaft der lebendig Schaffenden sein; er vertritt weniger eine Richtung als eine Gesinnung."

Hans Tietze

Junge Talente wie Anton Hanak (1902/03) fanden früh Präsentationsmöglichkeiten in der vom Architekten und Mitbegründer des Hagenbundes Joseph Urban innerhalb weniger Monate adaptierten und im Sinne des Jugendstils dekorativ umgestalteten Markthalle in der Zedlitzgasse. Für einen öffentlichen Eklat sorgten vor allem Werke des sogenannten „Oberwildlings“ Oskar Kokoschka im Rahmen der Sonderausstellung Malerei und Plastik im Jahr 1911. Allen Widerständen, auch seitens des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand, zum Trotz setzte man den radikalen Weg auch in der Frühjahrausstellung des Jahres 1912 fort, darunter mit Arbeiten von Anton Kolig, Anton Faistauer, Albert Paris Gütersloh und dem erst 21-jährigen Egon Schiele.

Der progressive Gestaltungswille einzelner Vertreter des Hagenbundes – der als „extreme Moderne“ oder auch als „Hypermodernismus“ sowohl vereinsintern als auch in der Öffentlichkeit kontroverse diskutiert wurde – war ungebrochen. Mit Georg Merkel, Fritz Schwarz-Waldegg, Maximilian Reinitz, Robert Philippi, Josef Floch, Ludwig Heinrich Jungnickel, Viktor Tischler, Robert Kloss, Robert Pajer-Gartegen, Georg Jung, Erwin Lang, Georg Mayer-Marton, Viktor Planckh, Franz Lerch oder Georg Philipp Wörlen, die sich zwischen 1920 und 1930 dem Hagenbund anschlossen, trat die Wiener Jugendstilkunst der Jahrhundertwende zugunsten moderner Strömungen in den Hintergrund. Insbesondere die 1920er-Jahre gelten als die Blütezeit des Hagenbundes, wo sich der Schritt von einer gemäßigten hin zu einer radikalen Moderne vollzog.

Der Salzburger Georg Jung zählt zu den außergewöhnlichsten Künstlern des Hagenbundes. Schon als Kind entwickelte er ein ausgeprägtes Interesse am Zeichnen, war er doch umgeben von prominenten Künstler*innen, die während der Salzburger Festspiele im familieneigenen ‚Hotel de l’Europe‘ abstiegen. Dennoch studierte er nach Ende des Ersten Weltkrieges Medizin; daneben besuchte er an der Wiener Kunstgewerbeschule einen Abendkurs in Aktmalerei.

Der Irrtum von 1920/21 steht am Beginn von Georg Jungs künstlerischem Œuvre. Formen, die bei genauer Betrachtung als menschliche Wesen erkennbar sind, ziehen in Kreisbewegungen durch Raum und Zeit. Sie scheinen von einer äußeren Kraft wie in einem Strudel mitgerissen. Eine warme gelb-rote Zone steht einer kühlen blauen gegenüber. Die sich verdichtenden elliptischen Licht- und Energiebahnen steigern die Dynamik in der Manier futuristischer Kraftlinien.

GEORG JUNG, Der Irrtum, 1920/21GEORG JUNG, Der Irrtum, 1920/21 © Privatsammlung Salzburg, Foto: Privatsammlung Salzburg © Bildrecht, Wien 2022

So heterogen die vertretenen Sparten mit Malern, Grafikern, Bildhauern, Architekten und Kunsthandwerkern im Hagenbund waren, so hat sich doch die Malerei als tonangebendes Medium im Laufe der Zeit durchgesetzt. Motivisch traten v. a. die Großstadt mit ihren Menschenmassen, Markthallen, Fabriken und Vergnügungsstätten sowie die prekären sozialen, politischen und ökonomischen Lebensrealitäten der Zwischenkriegszeit neu ins Blickfeld. Es sind Künstler*innen wie Karl Hauk, Carry Hauser, Bettina Ehrlich-Bauer und Otto Rudolf Schatz, die diese ebenso nüchtern wie eindringlich auf Papier und Leinwand bannen. In den Motiven spiegelt sich auch die Situation des Vereins und seiner Mitglieder, die Ende der 1920er-Jahre die Zedlitzhalle weder beheizen noch dringend notwendige Instandhaltungsmaßnahmen durchführen konnten. Am Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise ging man dazu über, Bilder gegen Lebensmittel einzutauschen.

  • Otto Rudolf Schatz, der sich ab den späten 1920er-Jahren vermehrt den urbanen Themen seiner Zeit zuwendete, schilderte die beklemmende Lebensrealität des Praters und der Wiener Halbwelt in großformatigen Akt- und Bühnenszenerien von eindrücklicher Präsenz und Nüchternheit. Drei nackte beziehungsweise leichtbekleidete Frauen mit Pagenfrisuren und eine asketisch anmutende männliche Gestalt im Hintergrund setzt Schatz hier in einen bühnenartigen Kontext, der jedoch letztlich unbestimmt bleibt. Dass die im kühlen Stil der Neuen Sachlichkeit dargestellten Figuren gänzlich teilnahmslos und starr in Richtung der Betrachtenden blicken, unterstreicht den voyeuristischen Charakter des Werks. Sowohl das Spiel mit den sexuellen Vorstellungswelten eines imaginären Publikums als auch die Thematik der Diskriminierung und Ausbeutung von Menschen am Rande der Gesellschaft gehören zu Schatz’ Leitmotiven.
  • Carry Hausers ikonisches Gemälde dreier Jazzmusiker von 1927 ist gesellschaftspolitisch zu lesen. Mit seiner multiethnischen Jazzband setzte er der neuen Musik, ihrer kontinenteübergreifenden Rezeption und vor allem einem neuen Lebensgefühl ein Denkmal. In Wien existierte bereits zu Beginn der 1920er-Jahre eine erstaunlich vitale Jazz-Szene. Komponisten wie Robert Stolz oder Josef Hauer beschäftigten sich intensiv mit dem „letzten Sensationstanz Amerikas“ und Ernst Kreneks Oper "Jonny spielt auf" feierte an der Wiener Staatsoper am Silvesterabend des Jahres 1927/28 Premiere. Der Schriftsteller Alfred Polgar brachte 1924 den Jazz auf die Formel: „Die Synkope ist ein Symbol unserer widerspenstigen Tage, das Symbol einer aus den Fugen geratenen Welt.“

Die Offenheit für internationale Mitgliedschaften und Kooperationen blieb auch nach dem Ersten Weltkrieg ein Merkmal des Hagenbundes und umfasste Gastausstellungen aus den ehemaligen Kronländern, darunter aus Mähren (1925), Laibach/Ljubljana (1927) und Budapest (1928), ebenso wie aus Russland (1928), Belgien (1936) und Lettland (1937). Im Dezember 1927 wurden im Zuge der 55. Kunstausstellung u. a. Grafiken französischer Künstler wie Georges Braque, Robert Delaunay, André Derain, Henri Matisse, Maurice Vlaminck und der in Frankreich wirkenden Spanier Juan Gris und Pablo Picasso sowie des aus Russland stammenden Marc Chagall gezeigt.

Bereits in der Eröffnungsausstellung des Künstlerbund Hagen von 1902 waren mit Leona Abel, einer Carl Moll-Schülerin, und der Malerin Emilie Mediz-Pelikan, zwei Künstlerinnen als Gäste vertreten. Der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ) verhalf der Hagenbund durch die Zurverfügungstellung seiner Räumlichkeiten 1911 zur ersten einer Reihe von Ausstellungen in der Zedlitzhalle, die auch vom Verband bildender Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen „Wiener Frauenkunst“ genutzt wurde. Ab 1924, und damit rund 20 Jahre vor der Secession, räumte der Hagenbund Frauen den Status „korrespondierender“ bzw. „außerordentlicher“ Mitglieder*innen ein, darunter Bettina Ehrlich-Bauer, Johanna Kampmann-Freund, Anny Schröder Ehrenfest oder Lilly Steiner.

LILLY STEINER, Porträt Lilian Gaertner, 1927LILLY STEINER, Porträt Lilian Gaertner, 1927 © Privatbesitz, Foto: Galerie Widder, Wien

Lilly Steiner zählte zu den wenigen weiblichen Kunstschaffenden Wiens, die eine Einladung zur außerordentlichen Mitgliedschaft im Hagenbund erhielten. Bereits 1908 stellte die Wiener Malerin und Druckgrafikerin im Hagenbund aus. Adolf Loos baute für die Künstlerin und ihren Mann 1910 das Haus Steiner im 13. Bezirk, wo im Salon Künstler wie Egon Schiele ein und aus gingen.

1927 übersiedelte Lilly Steiner mit ihrer Familie nach Paris und hatte eine Vermittlerfunktion zwischen den Netzwerken in Wien und Paris inne. Das expressionistische Porträt Lilian Gaertner, das im selben Jahr entstand, dürfte eine Bekannte der Künstlerin aus Wien zeigen. Durch das Zusammenspiel von Farbe und Körpersprache erzielte Steiner eine Intensivierung des künstlerischen Ausdrucks und der emotionalen Erregung.

Der Hagenbund erlebte in seiner fast vier Jahrzehnte währenden Existenz eine äußerst wechselvolle Geschichte, die in Bezug auf die jeweils existierenden politischen Systeme von der Monarchie über die Erste Republik und den austrofaschistischen Ständestaat bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten führte. Letztere veranlassten schließlich – wegen zu moderner und liberaler künstlerischer Ansichten, der hohen Anzahl von Künstler*innen mit jüdischen Wurzeln und eines linken Flügels unter den Mitgliedern – im September 1938 die Auflösung der Künstlervereinigung. Eine große Anzahl der Mitglieder wie Georg und Bettina Ehrlich-Bauer, Josef Floch, Carry Hauser, Lilly Steiner, Otto Rudolf Schatz oder Felix Albrecht Harta mussten emigrieren oder wurden – wie Robert Kohl oder Fritz Schwarz-Waldegg – in Konzentrationslagern ermordet.

Der kosmopolitische und interkulturelle Geist des Hagenbundes fand damit sein Ende. 1965 verschwand mit der im Zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogenen Zedlitzhalle auch der architektonische Referenzpunkt dieser bedeutenden Wiener Künstlerbewegung, die in ihrer knapp 38-jährigen Vereinshistorie über 260 Mitglieder zählte. Das Leopold Museum zeigt die herausragenden Positionen der Künstlervereinigung, von den gemäßigt modernistischen Anfängen im Schatten der Secession bis zu den wegweisenden, avantgardistischen Errungenschaften der 1920er und 1930er-Jahre, darunter zahlreiche noch nie öffentlich gezeigte Werke aus österreichischen Privatsammlungen.

Kuratoren: Dominik Papst, Stefan Üner, Hans-Peter Wipplinger 

 

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  • Ludwig Ferdinand Graf war maßgeblich am Wiedererstarken des Hagenbundes nach 1918 beteiligt und einer seiner wichtigsten Protagonisten. Mit dem "Decamerone" von 1921 setzte er der gleichnamigen Novellensammlung des berühmten italienischen Dichters des 14. Jahrhunderts, Giovanni Boccaccio, ein Denkmal. Zehn Tage lang erzählen sieben Damen und drei Herren auf einem Landgut einander Geschichten über Liebe und Lebenslust, während draußen die Pest wütet.
    Ernst Décsey schrieb über das Werk: „Neue Gefühle, neue Farben! Der Erzähler sitzt gekauert, und aus seinen erklärenden Fingerspitzen rieseln die Pointen. Die sieben oder acht Damen im Kreis hören zu, jede auf andere Art, verschämt, prüde, lüstern oder naiv."
  • Für den Maler Josef Floch wurde der Hagenbund zum Sprungbrett einer internationalen Karriere. Obschon er 1925 nach Paris übersiedelte, wo er höchst erfolgreich ausstellte, durfte der Künstler seine 1920 erhaltene Mitgliedschaft behalten. Zu seinem Freundeskreis zählten die Pariser Avantgardist*innen Balthus, Chana Orloff und Jacques Lipchitz. Die junge Wienerin Franziska Zach förderte er.
    Flochs Bildern, hieß es, sei die „strömende Weichheit seiner Empfindung“ abzulesen. Dieses Urteil trifft auch auf das Doppelporträt eines unbekannten Geschwisterpaares zu. Ausdrucksstark und doch subtil fängt Floch die Persönlichkeiten der beiden Kinder ein. Die Blickführung und Gestik, aber auch die zurückhaltende, differenzierte Farbigkeit verleihen dem Bildnis einen ruhigen, leicht melancholischen Charakter.

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