Egon Schiele, Erwin Dominik Osen mit aneinandergelegten Fingerspitzen („Mime van Osen“), 1910 (Detail) © Leopold Museum, Wien | Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger
Wiener Geschichten - Leopold Museum Blog
GAY IN WIEN UM 1900
DER BEDROHTE MANN
Mit tief gerunzelter Stirn und fest verschlossenem sinnlich-breitlippigem Mund, eine sonderbar gedrehte dürre, bleiche Mumienhand vor seiner Brust, blickt uns der Maler Max Oppenheimer in einem seiner raren Selbstbildnisse unverwandt und tief entgegen – mehr in einer in sich gekehrten Selbstbefragung als in einem Dialog. Wie ein Salvator mundi inszeniert er sich in ocker-gedämpfter Farbigkeit mit hochgeschlossenem Hemdkragen und sich windender Krawatte, die Schultern in asymmetrischer Drehung abfallend. Ein matter Lichtschein umspielt dabei auratisch das Antlitz und den Oberkörper. 1911 ist ein Schlüsseljahr im Leben des jungen erfolgreichen Künstlers. Mit zahllosen Porträts namhafter Persönlichkeiten aus der Wiener Gesellschaft hat sich Max Oppenheimer bereits einen Namen als psychologisch tiefblickender, empathischer Menschendarsteller gemacht.
- The painting "The Scourging" was first exhibited at the Berlin Secession in 1913 and went on to become one of the artist’s main works. The center of the composition is taken up by the figure of the flagellated man. The elongated male body stands directly opposite the viewer, its right arm draped over the head, and flanked by tormentors. The four male figures grouped around him take turns flailing his body. In the background, bystanders are depicted following the action. The bottom edge of the picture is dominated by sharply painted cloths, soaked in blood. The triangular composition created by the two legs of the floggers is repeated above in the radiating stellar configuration. It is striking that Oppenheimer depicts Christ and his tormentors with the same nakedness, which means that each figure in the painting becomes interchangeable.
Eine Personale in der Münchner Galerie von Heinrich Thannhauser macht MOPP, wie er sich nennt, schlagartig prominent, er handelt sich allerdings mit dem Erfolg auch maßgebliche Unannehmlichkeiten ein: Oskar Kokoschka fühlt sich augenscheinlich überflügelt und reagiert pikiert und hasserfüllt. Mit einem Plagiatsvorwurf bringt der einstige Freund Teile der Wiener Künstler-Community und Intellektuellen-Bubble gegen den talentierten Kollegen auf. Ist es lediglich der durchschlagende Erfolg des Mitbewerbers, der Kokoschka zur Weißglut treibt, oder verbirgt sich noch anderes hinter dem überschäumenden Konkurrenzverhalten?
Max Oppenheimer ist für seine Eloquenz, seinen spitzzüngigen Humor und seine Eleganz bekannt. Ein Dandy wie aus dem Bilderbuch, der es versteht, durch sein wendiges Auftreten und seine raffiniert inszenierte Adjustierung zu beeindrucken. Das alles scheint Kokoschka nicht zu schmecken. Oppenheimer reagiert souverän und pariert die Attacke mit Gelassenheit und doch bleibt eine Verletzung, eine tiefe Kränkung zurück. Der aus einer gebildeten assimilierten jüdischen Familie stammende Oppenheimer greift auf Elemente der christlichen Ikonografie zurück, um das Erlebte in seinem Werk zu verarbeiten. In den Motiven aus der Leidensgeschichte Jesu, in den Darstellungen des Verletzten, des Gefolterten, des Gekreuzigten finden sich häufig Züge des Künstlers.
Aber es lässt sich bei Oppenheimer noch eine weitere Triebfeder für sein Schaffen ausmachen. Der nackte Gegeißelte am Leidensweg wird in seinem Gemälde von ebenso nackten, langgliedrigen, gut gebauten Häschern gefoltert wie auch andernorts der verratene und ausgelieferte Samson. Oppenheimer ist ein Künstler, der aus seiner homoerotischen Neigung und seinem Blick auf die Welt kein Hehl macht – ein schwuler Mann im Wien um 1900. Freunde berichten, dass Oppenheimer in einer mit Pelz verbrämten Priestersutane und silber-glitzernden Schuhen durch das nächtliche Wien tänzelt. In der katholisch-erzkonservativen Residenzhauptstadt stellt dies eine queere Provokation der Sonderklasse dar und ist durchaus mutig: Gleichgeschlechtliche Handlungen werden nach dem von 1852 bis 1971 geltenden Paragrafen 129 Ib des Strafgesetzes als „Unzucht wider die Natur“ mit bis zu fünf Jahren schweren Kerkers bestraft.
Vertreter der marginalisierten Schicht haben wenig Chance, ihre Bedürfnisse im geschützten Raum auszuleben. Razzien in einschlägigen Lokalen können empfindliche und martialische Folgen zeitigen. Und doch geben die Berichte seitens der unablässig lauernden und zuweilen hasserfüllt strafenden Polizei Zeugnis von einer lebendigen und lebenslustigen homosexuellen Subkultur. Trotz der ausgeprägten Homophobie wird das schwule Leben auch in den höchsten Kreisen Wiens mehr oder weniger diskret gelebt. Ein offenes Geheimnis ist die Vorliebe Erzherzog Ludwig Viktors – genannt Luziwuzi – für Männer.
In den 1930er-Jahren wird Max Oppenheimer in Deutschland als „entarteter Künstler“ verfemt. Seine Werke werden aus öffentlichen Sammlungen konfisziert, zahlreiche werden vernichtet, andere gelten als verschollen. Der homophobe Terror erlangt unter den Nationalsozialist*innen eine neue erbitterte Brutalität. Konzentrationslager und Ermordung drohen. Im Unterschied zu vielen anderen ist Oppenheimer sehr früh klar, dass er als Jude und Homosexueller doppelt marginalisiert und im mörderischen System des Nationalsozialismus lebensbedroht ist. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland im Jahr 1938 gelingt ihm die Flucht in die neutrale Schweiz und später die Ausreise in die USA. Er überlebt den rassistischen und homophoben Naziterror, aber das Exil ist leidvoll: Entwurzelung und Depressionen haben ein weitgehendes Versiegen seiner Kreativität zur Folge. Vereinsamt und verarmt stirbt Max Oppenheimer 1954 in New York. Die geplante Rückkehr nach Wien ist ihm nicht mehr vergönnt.
Beitrag von Markus Hübl