14.10.2022-27.02.2023

TILLA

DURIEUX

Eine Jahrhundertzeugin und Ihre Rollen

TILLA DURIEUX | Teaser

Sie war gefeierter Theater- und Filmstar, moderne Frau der 1920er-Jahre, politisch engagierte Zeitgenossin und galt als die am meisten porträtierte Frau ihrer Epoche. Die Rollen von Tilla Durieux (1880–1971) waren ebenso vielfältig wie auch die Liste der Künstler*innen, denen sie Modell saß: unter ihnen Auguste Renoir, Max Slevogt, Lovis Corinth, Franz von Stuck, Charley Toorop, Ernst Barlach, August Gaul, Mary Duras, Emil Orlik, Sasha Stone, Oskar Kokoschka, Olaf Gulbransson, Max Oppenheimer oder die Fotografinnen Frieda Riess und Lotte Jacobi.

Nach der Schauspielausbildung in ihrer Heimatstadt schaffte es Durieux über Stationen in Olmütz und Breslau 1903 zu Max Reinhardt nach Berlin. Daraufhin spielte sie über die Jahre in allen wichtigen Häusern Europas und stellte sich gerne – nicht nur auf der Bühne, sondern auch vor der Kamera – neuen, herausfordernden Rollen. Durch ihren ersten Ehemann, den Künstler Eugen Spiro, erlangte Durieux erstmals Zugang zur bildenden Kunst und den entsprechenden Kreisen; durch ihren zweiten Ehemann, den Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer, wurde sie selbst Teil davon. Als Bildmotiv wie als Sammlerin blieb sie auch bis zum Beginn der Naziherrschaft in Deutschland aktiv. Durieux zeigte sich nicht nur künstlerisch engagiert, sondern ebenso in sozialen wie politischen Fragen: Ob nun während des Zürcher Exils im Ersten Weltkrieg, in den Wirren der Münchner Räterepublik oder nach der missglückten Flucht mit ihrem dritten Ehemann, dem Industriellen und Sammler Ludwig Katzenellenbogen, im Zagreber Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

In einer umfassend angelegten Schau geht das Leopold Museum erstmals der Faszination, die Tilla Durieux bereits auf ihre Zeitgenoss*innen auslöste, auf den Grund und folgt anhand von Bildnissen quer durch alle Medien den Spuren dieser schillernden Persönlichkeit.

Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Georg Kolbe Museum und dem Archiv der Akademie der Künste, Berlin.

Kuratorin: Daniela Gregori

„Maler und Modell – sie wissen beide nicht, was sie auf sich nehmen, wenn das Wort ‚Porträt‘ fällt.“

Tilla Durieux

ÜBER NACHT ZUM STAR ...

Als 1903 in ihrer ersten Saison Oscar Wildes Salome einen furiosen Erfolg feierte, war die Schauspielerin bei der Premiere noch mit dem Part der Herodias besetzt. Doch bereits am dritten Abend meldete sich die gefeierte Salome krank. Durieux übernahm kurzfristig die Titelrolle, die sie bereits während ihres Engagements in Breslau gegeben hatte, brillierte und spielte fortan im Wechsel mit dem bisherigen Star, Gertrud Eysoldt (1870–1955). Sowohl das Bühnenkostüm, für das sie zu dieser Zeit noch selbst aufkommen musste, als auch ihren Auftritt legte Durieux lasziver als Eysoldt an. Dies war die Geburtsstunde des Stars Tilla Durieux.

MAX OPPENHEIMER, Bildnis Tilla Durieux, 1912MAX OPPENHEIMER, Bildnis Tilla Durieux, 1912 © Leopold Museum, Wien Foto: Leopold Museum, Wien

Den Blick von den Betrachtenden abgewendet und den Körper in ein wallendes Kleid gehüllt – so bannte Max Oppenheimer (1885–1954) 1912 Durieux in expressionistischer Manier auf die Leinwand. Die eigenartig verdrehten Hände und der diffuse Hintergrund unterstreichen die düstere Stimmung der Darstellung. Das in den Fokus gerückte Gesicht Durieux’ spiegelt ihr Seelenleben wider. Kolorit und Facettierung der Formen zeigen, wie intensiv sich der Maler mit den Methoden des Kubismus auseinandersetzte und diese in seine eigene Formensprache einfließen ließ. Beauftragt wurde Oppenheimer von Durieux’ Ehemann Paul Cassirer, nachdem der befreundete Maler den Wunsch geäußert hatte, dessen Frau zu malen. Einer anfänglichen Skepsis folgte eine regelrechte Begeisterung über das finale Werk.

DURIEUX, CASSIRER UND DER BERLINER KÜNSTLER*INNENKREIS

 „Meine Augen haben durch ihn die Herrlichkeit der Welt gesehen, aber auch die verzweifeltsten Tränen geweint.“ Bei einem Abendessen bei Julius Meier-Graefe lernte das Ehepaar Spiro/Durieux 1905 Paul Cassirer (1871–1926) kennen. Cassirer stammte aus einer wohlhabenden Familie, war charmant wie gebildet und die Schauspielerin erkannte schnell, „das ist die Welt, von der ich immer schon geträumt hatte, dass sie irgendwo verborgen sei!“ Cassirer, geschiedener Vater zweier Kinder, förderte die bereits erfolgreiche Schauspielerin, indem er ihr nahelegte, weiter an Sprach- und Atemtechnik zu arbeiten, und führte sie in die Kunst- und Literaturkreise Berlins ein. Es gab jedoch auch eine andere Seite des Mannes –eine ruhelose, unbeherrschte bis grausame, eifersüchtige und untreue. Die Schauspielerin und das familiäre Umfeld Cassirers – darunter Verleger Bruno Cassirer und Philosoph Ernst Cassirer – zeigten füreinander wenig Verständnis und blieben stets auf Distanz. Dafür nahm der Kreis von Kulturschaffenden um Cassirer Durieux überwiegend freundlich und freundschaftlich auf. Viele von ihnen beauftragte Cassirer zudem mit der Anfertigung von Porträts seiner Ehefrau. Neben Künstlern wie August Gaul, Ernst Barlach, Max Slevogt, Leo von König, Lovis Corinth oder Max Liebermann gehörten im Laufe der Jahre ebenso Tilly und Frank Wedekind, Else Lasker-Schüler, Heinrich Mann, Harry Graf Kessler, Samuel Fischer, Julius Elias, Julius Meier-Graefe oder Max Osborn zu dieser illustren Runde. In Berlin führte man einen Haushalt mit großen Abendgesellschaften, Künstler der Galerie, etwa Ernst Barlach oder Oskar Kokoschka, blieben bei ihren Berlin-Aufenthalten als Übernachtungsgäste. Auch im Schweizer Exil während des Ersten Weltkrieges versammelte das Ehepaar einen Kreis von Kulturschaffenden und Intellektuellen um sich.

„Ich saß ruhig wie ein Steinbild, das hatte ich bei den verschiedenen anderen Malern schon gelernt, die mein Porträt machten.“ – Im Juli 1914 fuhr Durieux mit Paul Cassirer nach Paris, um sich von Auguste Renoir (1841–1919) malen zu lassen. Ihr Mann hatte bereits des Öfteren mit dem Künstler zusammengearbeitet und beauftragte ihn nun, ein Porträt seiner Ehefrau anzufertigen. Renoir, einer der bedeutendsten französischen Maler des Impressionismus, empfing die Schauspielerin in seinem Atelier, wo er sie über 19 Tage hinweg vier Stunden täglich Modell sitzen ließ. Der Entstehungsprozess des Werkes wurde mit der Kamera dokumentiert. Sozusagen am Vorabend des Ersten Weltkrieges entstanden, mussten Durieux und Cassirer das noch nicht trockene Gemälde in Paris zurücklassen. Cassirer überließ es einem befreundeten Kunsthändler, woraufhin es über mehrere Sammlungen und Aufenthaltsorte schließlich 1933 von Durieux bei ihrer Emigration in die Schweiz und dann nach Zagreb mitgenommen wurde. Das von Renoir gemalte Porträt war für Durieux selbst die Erfüllung eines lang gehegten Traumes, wie sie in ihrer Autobiografie schrieb.

Pierre-Auguste Renoir, Porträt Tilla Durieux, 1914Pierre-Auguste Renoir, Porträt Tilla Durieux, 1914 © The Metropolitan Museum of Art, Bequest of Stephen C. Clark, 1960, Foto: The Metropolitan Museum of Art, New York, Bequest of Stephen C. Clark, 1960

  • DIE JOSEPHS LEGENDE. DURIEUX ALS POTIPHARS WEIB

    „Als Tänzerin überragte sie alle Kolleginnen vom Theater, als Schauspielerin alle Tänzerinnen von Beruf durch ihre hohe künstlerische Intelligenz und ihre dramatische Fähigkeit, sich darzustellen“, erinnerte sich Jahrzehnte später der Kunsthistoriker und Schriftsteller Johannes Guthmann an eine der Paraderollen Durieux’. Harry Graf Kessler (1868–1937) notierte nach der Berliner Premiere der Josephs Legende schlicht in sein Tagebuch: „Die Durieux über alles Lob erhaben“.
    Bereits während der Proben für die Aufführung zeichnete Max Slevogt (1868–1932) Durieux in ihrer Rolle als ‚Potiphars Weib‘. Anhand dieser Skizzen entstand später die Gemäldeversion wie auch eine 1931 publizierte Mappe. Slevogt zeigt Durieux schleichend; das einzige Attribut ist eine Öllampe in ihrer rechten Hand. Der markante Pinselduktus der dynamischen Komposition hält den erzählerischen Wendepunkt des Balletts fest: Potiphars Frau bahnt sich in nächtlicher Stille ihren Weg in Josephs Lager, um ihn zu verführen. Slevogt verbildlichte hier den inneren Kampf der Dargestellten zwischen Standhaftigkeit und Verlangen. Die Datierung „21. II 21“, die in der oberen rechten Bildecke zu sehen ist, verweist auf den 50. Geburtstag Paul Cassirers und der Vermerk „z. Erinnerung Max Slevogt“ lässt vermuten, dass das Werk ein Geschenk des Künstlers an Cassirer war.
  • „Von dem „brillanten Ausstattungsstück“, der ungewöhnlichen Kombination aus griechischer Antike, spanischem Rokoko und prunkvollen Massenszenen, von denen die Bühnenkritiker der Zeitungen berichteten, war bei Franz von Stucks (1863–1928) Gemälde Circe nichts zu erahnen. Als Durieux im Mai 1912 im Münchner Künstlertheater in der Titelrolle von Calderón de la Barcas Circe reüssierte, stand sie Stuck in dessen Atelier Modell. Wie so oft bei Stuck gibt es fotografische Vorstudien, für die die Schauspielerin in markanten Szenen posierte. Verführerisch, nahezu lauernd, fixiert sie mit eindringlichem Blick ihr Gegenüber außerhalb des Bildrandes. Sowohl auf den Fotografien als auch auf den Bildvarianten vermeint man weniger Durieux als Mensch zu erkennen, als vielmehr die Rolle, die sie durch und durch mit jeder Faser ihres Körpers vergegenwärtigte.

IM EXIL

„Denn das heutige Leben ist so überwältigend stark für jeden einzelnen, dass kein Schauspieler, kein Stück die Erschütterungen geben kann, die das Menschenleben selbst gibt.“ Nach dem Suizid Paul Cassirers zog sich Durieux eine Zeitlang weitestgehend von der Bühne zurück und verfasste mit dem Schlüsselroman Eine Tür fällt ins Schloss eine Abrechnung mit der Familie ihres Mannes. Das Werk wurde ein Bestseller, doch sie bereute die Publikation für den Rest ihres Lebens. 1930 heiratete Durieux den geschiedenen Ludwig Katzenellenbogen (1877–1943), Generaldirektor der Ostwerke AG und der Schultheiss-Pantzenhofer AG; wie die beiden ersten Ehemänner ist auch er jüdischer Abstammung. Als dieser sein Vermögen verlor – er wurde mit antisemitischem Hintergrund der Bilanzfälschung angeklagt und in einem aufsehenerregenden Prozess verurteilt –, war es Durieux, die das Leben, später auch die Flucht durch unermüdliche Gastspielauftritte sowie den Verkauf von Schmuck und Bildern finanzierte.

Vorgewarnt durch den Direktor des Theaters verließ die Schauspielerin am 31. März 1933 die Abendvorstellung noch vor dem Schlussapplaus, um gemeinsam mit ihrem Mann den Nachtzug nach Prag zu erreichen. Neben Ascona wurden Zagreb und Opatija Stationen ihrer Flucht. In Opatija unterhielt das Ehepaar das Hotel Cristallo, während Durieux in Ländern, die sie noch bereisen konnte, weiterhin Gastspiele gab und auch im Salzburger Mozarteum unterrichtete. Mit Pässen von Honduras versuchte Durieux für sich und ihren Mann Visa für Amerika zu erhalten, was jedoch scheiterte. In Abwesenheit der Schauspielerin wurde Katzenellenbogen nach Berlin verschleppt, wo er 1943 starb. In Zagreb bei einer entfernten Verwandten lebend, beteiligte sich Durieux an der Widerstandsbewegung, schrieb das Stück Zagreb 1945 und wurde nach dem Krieg Kostümbildnerin an einem Puppentheater. Ihre verbliebene Sammlung war an bestimmten Tagen für die Öffentlichkeit zugänglich, ein Teil davon befindet sich auch heute noch im Stadtmuseum von Zagreb. Erst 1952 begann sie zögerlich, wieder in Berlin Theater zu spielen, 1955 kehrte sie nach Deutschland zurück.

 

DIE SPÄTEN DARSTELLUNGEN

„Jetzt muss ich die Rollen spielen, die mir nun geschenkt sind“, fasste Durieux ihre Tätigkeit im Alter ohne Wehmut zusammen. Bereits 1947 sehnte sie sich – „das alte Cirkuspferd“ – in einem Brief an Gustav Gründgens zurück in die Manege; ein Wunsch, der sich ab 1952 vermehrt erfüllte: „Mit 53 ging ich, mit 72 fing ich wieder an“. Langsam fasste die Heimkehrerin auf den deutschen Bühnen wie auch als (Staats-)Bürgerin wieder Fuß. Sie erhielt erneut ihren deutschen Pass und ließ sich in der Bleibtreustraße in Berlin Charlottenburg nieder. Bis kurz vor ihrem Lebensende arbeitete Durieux für Film, Hörfunk, Fernsehen und vor allem für das Theater.


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