RUDOLF WACKER, Zerbrochener Puppenkopf, 1932 (Detail) © Privatbesitz | Foto: Leopold Museum, Wien
30.10.2024 – 16.02.2025
RUDOLF
WACKER
Magie und Abgründe der Wirklichkeit
Rudolf Wacker (1893–1939) zählt zu den bedeutendsten österreichischen Künstler*innen der Neuen Sachlichkeit in Europa. Leben und Schaffen des Vorarlbergers sind untrennbar mit den gesellschaftspolitischen Ereignissen der 1910er- bis 1930er-Jahre verwoben. Nach einer unbeschwerten Jugend in Bregenz und einem erfolgreichen Studium in Weimar brach 1914 der Erste Weltkrieg über den jungen Kunststudenten herein. Er wurde an der Ostfront in der heutigen Ukraine eingesetzt, geriet aber bald für insgesamt fünf Jahre in russische Kriegsgefangenschaft. Wieder in Freiheit erreichte Wackers expressive Handschrift, insbesondere in der Zeichnung, frühe Höhepunkte.
Wacker orientierte sich zeitlebens an der deutschen Kunstszene. Mitte der 1920er-Jahre entwickelte er schließlich eine eigenständige Variante des neusachlichen Stils, die in der Ausstellung mit ausgewählten Referenzarbeiten, u. a. von Otto Dix, Anton Räderscheidt oder Alexander Kanoldt, punktuell in Dialog gesetzt wird. Wackers künstlerisches Interesse galt seiner nächsten Umgebung, den einfachen Dingen des Alltags, den Landschaften und Hinterhöfen, dem weiblichen Akt und seinem eigenen Porträt. Diese Motive wiederholte und umkreiste er in variantenreichen Kompositionen, die bis heute auf vielfache Weise zur Auseinandersetzung mit der Magie des Alltäglichen anregen.
Kuratorinnen: Laura Feurle und Marianne Hussl-Hörmann
Kuratorische Assistentin: Barbara Halbmayr
"Ich möchte ganz stille sein und nur die Dinge reden lassen. –
Dichten? ja, im Sinne der Realität, sie dichtmachen, verdichten – nicht aus ihr hinaus träumen!"
Rudolf Wacker, 1930
Künstler – Leser – Autor – Netzwerker
Wacker war zeitlebens nicht nur ein Zeichner und Maler, sondern auch ein geradezu exzessiver Leser und Autor. Allein in den Jahren seiner Kriegsgefangenschaft las Wacker über 400 literaturgeschichtliche Klassiker und Bücher zur Kunstgeschichte, Philosophie und Naturwissenschaft. Als Chronist seines Lebens schrieb er über drei Jahrzehnte hinweg Tagebücher, die nicht nur persönliche und künstlerische Gedanken sowie ein Verzeichnis seiner Ausstellungen und Verkäufe, sondern auch faszinierende Erlebnisberichte einer vergangenen Epoche enthalten. Trotz der Peripherie in Vorarlberg gelang es ihm, ein gutes Netzwerk in der deutschsprachigen Kunstszene aufzubauen.
RUDOLF WACKER, Selbst, sitzend im Zimmer, 1924 © Leopold Museum, Wien | Foto: Leopold Museum, Wien
Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich zählt zu den zentralen Themen in Wackers Werk. In der Kriegsgefangenschaft wurde ihm sein eigenes Antlitz geradezu eine Obsession, die noch bis in die Mitte der 1920er-Jahre andauerte. Obwohl diese Zeichnung 1924 entstand, präsentiert sich hier der Maler immer noch in Gefangenenkleidung. Eine Lampe spendet fahles Licht, Tisch und Krug bilden ein karges Mobiliar. Unruhige, kraftvoll aufgetragene Striche, die zwischen flächigen Schraffuren und schnellen Kürzeln wechseln, verleihen dem Porträt eine vibrierende Expressivität.
Puppen als Gleichnisse
Wacker war es ein Anliegen, dass seine Bilder sowohl als Abbilder der Natur wie auch als formale Konstruktionen betrachtet werden können. Die Dissonanzen und Harmonien der verschiedenen Formen, Farben und Texturen sollen die Wahrnehmung der Objekte intensivieren. Zugleich versuchte er, diese „in eine sinnvolle Ordnung [zu] spannen“, wie er es 1934 formulierte. In unterschiedlichen Werkphasen spielten dabei Puppen eine große Rolle. In zahllosen Kombinationen mit alltäglichen Dingen und Fundstücken wie Spielzeug, Krügen, Kürbissen oder Muscheln bevölkern sie die Bildwelten seiner Stillleben und Porträts. Mit Hilfe der Puppen lotete Wacker in den 1920er-Jahren vor allem zwischenmenschliche Beziehungen – häufig gerade das Verhältnis von Mann und Frau – auf spielerische Weise aus. Proportional zum Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich malte Wacker schließlich vermehrt Puppen in reduzierteren Kompositionen, deren nackte, verdrehte Körper mit ausgekugelten Gelenken, zersprungenen Köpfen und leeren Blicken erschütternd wirken. Diese beunruhigenden Darstellungen dienten Wacker als Gleichnis für seine Kritik an der grenzenlosen Gewaltbereitschaft des Nationalsozialismus.
Frauenbilder
Trotz seiner liberalen und fortschrittlichen Sexualmoral war Wacker einem konservativen Verständnis der Geschlechterrollen verpflichtet: Künstlerische Kreativität war seiner Meinung nach allein dem Mann vorbehalten. Fest im patriarchalen Zeitgeist verankert, bestimmten zwei stereotype Vorstellungen sein Frauenbild. Auf der einen Seite erklärte er den „Muttertypus“ zum Ideal der Frau, den er in seiner eigenen Mutter, aber auch in seiner Ehefrau Ilse vollkommen ausgeprägt glaubte. Auf der anderen Seite faszinierte ihn die angebliche sexuelle Verruchtheit der Frau. Diese meinte er in der 25 Jahre älteren Wienerin Marie Klimesch zu erkennen. Zwischen diesen Polen der Frau als Mutter und der Frau als Hure pendeln seine Frauenbilder.
Fragile Idyllen
Anders als in der deutschen Neuen Sachlichkeit blendete Wacker die moderne, großstädtische Lebenswelt in seiner Kunst gänzlich aus. Bewusst zeigte er ländliche Gegenwelten, wie etwa die Boote am Bregenzer Hafen, den Blick aus dem Atelierfenster über die Stadt hin zum See, aber auch verwahrloste Häuserwinkel von Kleinstädten wie Bregenz, Lindau und Goslar. Die Absenz des Menschen, formale Überzeichnungen oder die bis ins Unwirkliche gesteigerte Farben zerstören in raffinierter Weise den ersten Eindruck idyllischer Landschaften, die die Abgründe der Wirklichkeit und Wackers gesellschaftspolitischen Gegenwart durchscheinen lassen.
In den letzten Lebensjahren resignierte Wacker angesichts der politischen Lage zunehmend. In seine Bildwelten hielten nun Aquarien und Pilze, insbesondere aber morbide Herbststräuße Einzug. Diese sinnlichen Blütenwelten spielen unterschwellig auf drohendes Unheil an. In diesem Sinn entpuppt sich bei genauerem Hinsehen auch das heitere Motiv des Schmetterlings als trügerisch: In Wahrheit handelt es sich um präparierte, mit Stecknadeln aufgespießte Falter.
RUDOLF WACKER, Herbststrauß mit Zitronenfalter, 1937 © Museum Ortner, Wien, courtesy Kunsthandel Giese & Schweiger, Wien | Foto: Alexander Mitterer/Print Alliance
Mit der ersten monografischen Ausstellung zu Rudolf Wacker in Wien seit 66 Jahren und rund 200 Exponaten und zahlreichen Archivalien aus privaten und institutionellen Sammlungen bietet die Ausstellung ein umfassendes Panorama, das die künstlerische Vielseitigkeit und technische Perfektion von Wackers Œuvre eindrücklich vor Augen führt.