18.06. – 10.10.2021

JOSEF PILLHOFER

Im Dialog mit Cézanne, Giacometti, Picasso, Rodin ...

Josef Pillhofer

IM DIALOG MIT CÉZANNE, GIACOMETTI, PICASSO, RODIN ...

Überblickt man das über sechs Dekaden hinweg entstandene Gesamtwerk von Josef Pillhofer (1921–2010), so erscheint es dem Rezipierenden wie das Resümee einer Epoche der modernen Skulptur unter Miteinbeziehung vergangener, vormoderner Zeitalter. Sein Schaffen, das er zeitlebens phänomenologisch ergründete, ist in einem umfassenden Zusammenhang eingebettet: Oszillierend zwischen seinem Interesse an der Natur, der Landschaft, dem Vegetabilen und Anthropomorphen einerseits und einer geistigen, abstrahierenden und abstrakten Sphäre andererseits, schuf er Konkretionen in Stein, Holz, Gips, Bronze und Metall, aber auch Arbeiten auf Papier.

Pillhofer war ein präziser Beobachter und ein erfindungsreicher Gestalter zwischen Figuration und Abstraktion. Er ließ sich nicht auf ein Formenrepertoire reduzieren, sondern lebte sein Leitmotiv: „Gute Kunst muss nicht nur nach Vereinfachung oder Reduktion streben, sondern auch die Beziehung mit der Wirklichkeit und der Natur nie verlieren.“ Mit diesem synthetischen Ansatz – den Henri Laurens beim jungen Pillhofer schon früh erkannte und mit „Tu cherches une synthèse“ („Du suchst eine Synthese“) quittierte – hat er in einer Symbiose zwischen Intuition und Intellekt Originäres geschaffen und sich in die Kunstgeschichte eingeschrieben.

Anlässlich Pillhofers 100. Geburtstages würdigt das Leopold Museum den Plastiker und Zeichner mit einer rund 140 Exponate umfassenden Retrospektive. Die Schau folgt diversen Motiv- und Themenkomplexen, die Einblick in dessen facettenreiches skulpturales, aber auch grafisches Werk gewähren. Durch rund 50 weitere Arbeiten, etwa von Auguste Rodin, Medardo Rosso, Aristide Maillol, Wilhelm Lehmbruck, Edgar Degas oder Fritz Wotruba, treten Pillhofers Skulpturen in einen Dialog mit jenen herausragenden Protagonisten der bildhauerischen Moderne, die er überaus schätzte und die laut Pillhofer für seine Metamorphose zum autonomen Kunstschaffenden unabdinglich waren.

Kurator: Hans-Peter Wipplinger

„Ausgegangen bin ich eigentlich auch von Vorbildern, vielfach ist es ja so, dass die wenigsten jüngeren Künstler sich an Vorbilder halten, ich halte das für außerordentlich bedauerlich […].“

Josef Pillhofer

Aristide Maillol, Flore, um 1909/10Aristide Maillol, Flore, um 1909/10 © Kunst Museum Winterthur, Geschenk von Lisa Jäggli-Hahnloser und Prof. Dr. Hans R. Hahnloser, 1959 Foto: SIK-ISEA, Zürich/Lutz Hartmann

Ein Vorbild für Pillhofer auf der Suche nach seinem eigenen bildhauerischen Weg war der französische Bildhauer Aristide Maillol (1861–1944). Er galt als der wichtigste Antipode von Auguste Rodin und beeinflusste nachhaltig die europäische Plastik des 20. Jahrhunderts. Die monumentale Form der Flore, der römischen Göttin der Blumen und der Jugend, bewältigte der Künstler mit harmonisch ausgewogenen Proportionen und einem konzentrierten, ruhigen Ausdruck. Flore wirkt voluminös und sinnlich zugleich; die geglättete Oberfläche steht hingegen ganz im Gegensatz zum Werk Rodins, der stets mit bewegten Silhouetten und gefurchten Oberflächen arbeitete. Für Maillol war das Allgemeingültige von Bedeutung, das Individuelle wurde nebensächlich. Klar aufgebaut, ruhen seine Skulpturen unter weitgehendem Verzicht auf Handlung in sich, ohne klassizistisch zu wirken.

ENTSTANDEN IN PARIS

Nachdem Pillhofer ab 1946 bei Fritz Wotruba (1907–1975) an der Wiener Akademie der bildenden Künste seine bildhauerischen Fähigkeiten geschult hatte, erhielt er 1950 ein Staatsstipendium und übersiedelte für ein Jahr nach Paris. Die intensive Konfrontation mit dem französischen Kubismus und der rege Austausch mit ortsansässigen Bildhauerinnen und Bildhauern wie Constantin Brâncuși, Alberto Giacometti, Jacques Lipchitz, Germaine Richier, Alexander Archipenko, Henri Laurens oder Ossip Zadkine prägten Pillhofers stilistische Entwicklung nachhaltig.

Im Atelier von Ossip Zadkine (1890–1967) 1951 nach einem Modell entstanden, symbolisiert das Werk Radfahrerin Pillhofers Metamorphose vom Schüler Wotrubas zum eigenständigen Bildhauer mit autonomer Formensprache. Es gelang ihm, lebendige und tote Materie – Radfahrerin und Fahrrad – ineinander zu verschmelzen, die dynamische Bewegung des Tretens einzufangen und dabei die Skulptur dennoch mehransichtig zu modellieren. Pillhofer selbst sagte über die Entstehung der Arbeit: „Realismus war ausgeschlossen. Das technische Gerät Fahrrad und das lebendige Mädchen mussten verwandelt werden, ein Gebilde entstehen, das einheitlich beide Wirklichkeiten vereinigte“.

„Tu cherches une synthèse“ ("Du suchst eine Synthese"), soll der französische Bildhauer Henri Laurens (1885–1954) über Pillhofers Werke gesagt haben. Er selbst bezeichnete Laurens als seinen wichtigsten Lehrer in Paris. Der rege Austausch mit ihm hatte einen großen Einfluss auf seine künstlerische Entwicklung und sein Formenvokabular: „Laurens hat uns gelehrt, dass gewisse Hypertrophien des Plastischen zu neuen Wesen führen. Rhythmische Frauenfiguren, wenn sie outriert dargestellt werden, werden zu Sirenen, die Beine zu Flossen, der Oberkörper zu dem einer Nymphe“. Die sich im Raum entfaltende Skulptur La mère folgt nur mehr grob anatomischen Gegebenheiten, denn einzelne Körperglieder sind übermäßig vergrößert, verlängert und verbogen, sodass ein neues Wesen entsteht. 

Während seiner Zeit in Paris machte Pillhofer Bekanntschaft mit dem Schweizer Künstler Alberto Giacometti (1901–1966), den er in seinem Atelier aufsuchte. Giacometti war laut dem Philosophen Jean-Paul Sartre stetig auf der Suche nach dem Absoluten. Sein Œuvre zeigte sich geprägt von der Darstellung des Gesehenen – beispielsweise einer in der Distanz erkennbaren Figur, die gleichzeitig greifbar und flüchtig ist. In den 1950er-Jahren fokussierte sich Giacometti auf das grafische und plastische Porträtieren seines Vertrautenkreises. Sein jüngerer Bruder Diego, der hier zu sehen ist, zählte zu seinen bevorzugten Modellen. Die Frontalität der Darstellung und der starre Blick betonen die Intensität des Konterfeis. Mit der zerfurchten, lavaartigen Oberflächenstruktur kam ein zeitgemäßes Menschenbild der Nachkriegsjahre, geprägt von Einsamkeit und existenzieller Not, zur Geltung.

Alberto Giacometti, Buste de Diego, 1955Alberto Giacometti, Buste de Diego, 1955 © mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, erworben 1962 Foto: mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien © Alberto Giacometti Estate/ADAGP/Bildrecht, Wien 2021

„Das Konstruktive ist die Grundvoraussetzung für das Zeichnen“, so Pillhofer. Die Werkserie der „Kopfstudien“ nahm ihren Ausgangspunkt in der Pariser Zeit und setzte sich in Wien in den unmittelbaren Jahren danach fort. Das zentrale Interesse an der Kopfform als jenem vom Rumpf abgesetzten Teil des Körpers, der als Sitz des Geistes und des Verstandes begriffen wird, teilte Pillhofer mit vielen Künstlerpersönlichkeiten, unter anderem mit Fritz Wotruba (1907–1975) und Joannis Avramidis (1922–2016). Wesentlich war dabei der Antrieb, eine Loslösung von der gesehenen Wirklichkeit zu erreichen sowie eine Überführung ins Typische und Allgemeingültige vorzunehmen.

Einige der in Paris entstandenen Zeichnungen zeigen die Zerlegung des Gesichts nach kubistischem Vorbild – siehe Pablo Picasso (1881–1973). Der Prozess der Vereinfachung und damit die Erkundung der Essenz der Kopfform waren Pillhofers zentrale Themen.

  • An Schaffenskraft, stilistischer Vielfalt und künstlerischen Neuerungen in den unterschiedlichsten Medien – sei es Zeichnung, Malerei, Collage, Plastik, Keramik oder Druckgrafik – ist der Universalkünstler Pablo Picasso (1881–1973) unübertroffen. Wie kein anderer prägte er die Kunst des 20. Jahrhunderts und wandelte sich ständig: von den bekannten frühen Werken der Blauen und Rosa Periode bis hin zu den bahnbrechenden mit Georges Braque geschaffenen Innovationen des synthetischen Kubismus und einer parallel stattfindenden Rückkehr zu naturalistisch-klassizistischen Kompositionen. In seinem stilpluralistischen Denken war beides möglich – die Zersplitterung der Form und simultane Ansichtigkeit im Kubistischen sowie die Verfestigung, Ordnung und Monumentalität der Körperlichkeit im neoklassizistischen Zugang. Es scheint fast so, als musste er seinen von ihm geschaffenen kubistischen Formenkanon immer wieder aufs Neue dekonstruieren, um frei und vielgestaltig für anderes zu bleiben. Trotz aller kubistischer Deformationen und surrealistischer Assoziationsräume hat Picasso die Grenze zur Gegenstandslosigkeit nie überschritten. Der Bezug zur Wirklichkeit war ihm wichtig und ging nie verloren, wenngleich er seine kubistische Formensprache auch bis zum Lebensende in verschiedensten Variationen praktizierte.

„Modern sein heißt, das Ungewohnte zu proklamieren. Doch ein Wertkriterium ist Moderne noch nicht. Eher die zeitlosen Fakten eines Bildes, einer Skulptur, einer künstlerischen Einheit in der Zeit erreichen Qualität in der Moderne.“

Josef Pillhofer

„Skulptur ist das Dinghafte an sich, das Körperhafte, welches dem Inneren die äußere Form verleiht und dessen Außenseite auf ein Inneres verweist.“

Josef Pillhofer

„Ich möchte in einem umfassenden Sinn in das Wesen der Landschaft eindringen.“

Josef Pillhofer